Klima außer Kontrolle
Wie gut ist Deutschland vorbereitet, wenn Bäche zu reißenden Strömen werden, Städte in immer heißeren Sommern unbewohnbar werden oder sich das Meer die Küste zurückerobert?
Bei der Recherche zu ihrem Buch waren Susanne Götze und Annika Joeres in ganz Deutschland unterwegs und haben verschiedene Orte besucht.
Die Autorinnen im Interview
Rekorddürren, Hitzewellen, Starkregen: Die Folgen der Klimakrise sind mittlerweile auch in Deutschland zu spüren. Wie gut sind wir darauf vorbereitet?
Wir haben in Deutschland eine echte Anpassungslücke. Die meisten fühlen sich sicher – aber das sind wir nicht mehr. Nach unseren Recherchen sind wir nur mangelhaft auf die Folgen der Klimakrise vorbereitet. Wir haben exklusiv alle 400 Kreise und kreisfreien Städte gefragt, ob sie schon Pläne für den Schutz ihrer Bevölkerung vor Extremwetter haben, wie etwa die Zentren mit Bäumen gegen Hitze zu wappnen oder Rückhaltebecken für Starkregen zu schaffen. Die Ergebnisse sind erschreckend. Unser Eindruck ist: Städte, Landesregierungen und Bundesregierung fangen gerade erst an, sich mit Klimaschutz zu beschäftigen, also Emissionen einzusparen. Die meisten Verantwortlichen beschäftigen sich aber noch nicht mit der Anpassung und den Folgen einer aufgeheizten Welt. Dabei, auch das zeigt unser Buch, riskieren wir unsere Gesundheit sowie hohe materielle und wirtschaftliche Schäden: Weil Hitze für ältere und vorerkrankte Menschen lebensbedrohlich ist, weil Kraftwerken ein Blackout droht, weil mit konventionellem Anbau die Ernten verdorren und Wälder sterben, weil Hochwasser Häuser wegreißen. Vorsorge ist immer günstiger – beim Klimaschutz wie bei der Anpassung. Reagieren wir erst, wenn die Katastrophe da ist, zahlen wir als Steuerzahler alle drauf.
Welcher der Orte, die ihr für eure Recherchen bereist habt, zeigt die Folgen, an die wir uns anpassen müssen, am eindrücklichsten?
Natürlich ist das Ahrtal uns und vielen Leserinnen und Lesern im Gedächtnis – das Hochwasser hat dort langfristig Menschen traumatisiert und alteingesessene Dörfer hinfort gerissen. Es ist aber auch ein Symbol dafür, wie wenig Politik und auch Anwohner bislang bereit sind, sich anzupassen: Viele Häuser werden wieder an derselben Stelle aufgebaut, sind also weiterhin gefährdet. Auch andere Orte waren eindrücklich – etwa der Weinberg einer Winzerin, die ihre Terrassen neu anlegt oder der Bodenökologe, der die Wetterbedingungen in einer Zwei-Grad-Welt simuliert. Besonders beeindruckt haben uns auch die Veränderungen in unseren Wäldern, wo viele Bäume krank sind und Forstwissenschaftler neue Aufforstungswege suchen. Aber auch an den Küsten und an Flüssen gibt es spannende Ideen, wie wir wieder einen Schritt auf die Natur zugehen können, um uns zu schützen und gleichzeitig auch die Flora und Fauna.
Muss das alles die Politik machen oder kann ich mich auch als Privatperson vorbereiten?
Jeder ist sein eigener Risikomanager. Wir haben dieses Buch nicht mit einem erhobenen Zeigefinger geschrieben. Es geht uns darum, unseren Leserinnen und Lesern klarzumachen, dass es hier um sie und ihr Leben geht. Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir gerade ziemlich unbeholfen in eine neue Zeit stolpern, deren Gefahren wir uns noch nicht wirklich bewusst sind. Deshalb raten wir auch dazu, erstmal zu schauen, wie man sich selbst schützen kann, und geben auch praktische Ratschläge. Etwa um die Vorsorge rund um das eigene Haus und wie man sein Eigentum schützen kann. Aber die Leser verstehen bei der Lektüre auch besser, wo sie sich über mögliche Risiken ihrer Region informieren können, und welche Gesundheitsgefahren drohen. Gleichzeitig decken wir auf, dass auch die meisten Verwaltungen und Bürgermeister die Klimavorsorge noch nicht auf dem Schirm haben. Auch für sie ist einiges in dem Buch, das sie für ihre lokale Politik gebrauchen könnten.
Aber ist Klimaanpassung nicht auch teuer und sind die gut gemeinten Vorschläge auch wirklich umsetzbar?
Wir sollten uns überlegen, was uns unsere Sicherheit, unser Leben und unser Wohlbefinden wert ist. Klimavorsorge ist umsetzbar, sobald Politik und Bürgerinnen und Bürger verstehen, dass wir keine andere Wahl haben: Die Klimakrise ist da. Die vergangenen Hitzewellen, die Katastrophe im Ahrtal waren vergleichsweise kleine Vorboten unseres künftigen Alltags. Mit dieser Perspektive sollten Städte, Firmen und die Bundesregierung ihr Budget sinnvoll einsetzen und bei jeder Investition überlegen, ob sie auch der Anpassung dienen kann.
Aber zuallererst müssen wir erst einmal verstehen, wie sehr sich unsere Umwelt ändern wird – und dass jeder Einzelne künftig mit Hitzewellen und Starkregen zurechtkommen muss. Es gibt sehr teure Umbauten wie Rückhaltebecken aber auch recht simple Sachen, die uns nicht nur schützen, sondern unser Leben sogar ganz unmittelbar verbessern. Konkret kann jeder der einen Garten hat, für Bäume und Schatten sorgen und selbst Fahrradfahren hilft langfristig: Weil für Radwege Städte weniger betoniert werden müssen als für Autos und die Luft sauberer ist. Möglich wäre es auch, sich auf der Arbeit, in der Familie oder bei seinem Lokalpolitiker dafür einzusetzen, die Anpassung ernst zu nehmen und sie konkret umsetzen zu wollen – unser Buch kann dabei helfen.
Gibt es auch Grenzen der Anpassung? Und können wir gegenüber diesen unberechenbaren Naturgewalten überhaupt etwas ausrichten?
Ja – bis zu einem gewissen Punkt. Das ist auch ein Ergebnis unserer Recherche: Wir können das Schlimmste verhindern und in den nächsten Jahrzehnten viele Menschenleben retten. Wenn aber doch einmal tagelang Starkregen fällt oder sich Städte über Wochen aufheizen, stoßen auch wir an unsere Grenzen. Viele Experten warnen bei solchen Extremwettern vor unberechenbaren Kettenreaktionen, die unsere Infrastrukturen überfordern, etwa wenn auf eine Hitzewelle ein Stromausfall folgt, Krankenhäuser überlastet sind, Flüsse austrocknen und es Lieferengpässe gibt – oder an anderen Stellen Deutschlands Starkregen Zufahrtsstraßen überflutet oder Bahndämme überschwemmt. Solche sich überschneidenden oder sich addierende Notlagen werden immer wahrscheinlicher, das stellt auch der letzte Weltklimabericht fest.
Wir müssen uns also an die Klimakrise anpassen – heißt das, für Klimaschutz ist es schon zu spät?
Nein, ganz im Gegenteil. Unsere Recherche zeigt, dass es auf jedes Zehntelgrad Erwärmung ankommt, das wir noch verhindern können. Und: Häufig nützt die Anpassung auch dem Klimaschutz, etwa, indem zusätzlich gepflanzte Bäume CO₂ speichern oder Städte Straßen entsiegeln und damit Fußwege schaffen. Mit der Anpassung an den Klimawandel müssen wir wieder einen Schritt auf die Natur zugehen – aus Eigennutz. Aber das nützt in den meisten Fällen auch dem Klima- und Artenschutz. Wir müssen diese Krisen also zusammen denken.