(Bizzenergy 16.8.18)Deutschland hält als eines der wenigen EU-Länder an der Braunkohleverstromung fest. Eine Brüsseler Verordnung zu Emissionsgrenzwerten könnte den deutschen Anlagenbetreibern zum Verhängnis werden.
Für die 30 Braunkohle-Meiler in Deutschland wird es demnächst eng. Nicht nur Erneuerbare, Umweltverbände und Teile der Kohlekommission wollen den klimaschädlichen Kraftwerken an den Kragen, sondern auch die EU-Kommission. In Europa ist die Braunkohle mit einem Anteil von nicht einmal zehn Prozent an der Stromerzeugung inzwischen ein Auslaufmodell. Die meisten Länder in der EU setzten auf Atom, Gas, Steinkohle – und immer mehr auch auf Wind, Sonne und Biomasse.
Sogar China hat niedrigere Grenzwerte
Während der Ausbau der Erneuerbaren stockt, protegieren Länder wie Sachsen und das Bundeswirtschaftsministerium die Kohlelobby und versuchen strengere Emissionsregeln zu verhindern. So scheint es jedenfalls, denn bis heute – ein Jahr nach der EU-Entscheidung – hat die Bundesregierung das Bundesimmisionsschutzgesetz noch nicht novelliert.
Besonders umstritten ist der neue Grenzwert für Stickoxid-Emissionen für Braunkohle-Blöcke. Von 2021 an dürfen diese nur noch maximal 175 Milligramm Stickoxide je Kubikmeter ausstoßen. Bisher liegt der deutsche Grenzwert bei 200 Milligramm und ist deutlich lascher als in den USA mit 117 Gramm, die nicht gerade für hohe Umweltstandards bekannt sind. Sogar China hat seine Stickoxid-Emissionen auf 100 und für Neuanlagen sogar auf 50 Milligramm je Kubikmeter gedeckelt.
Vorschriften aus Brüssel werden verwässert
Alle Versuche der Bundesregierung, die schärfere EU-Regel für Stickoxide auszubremsen, scheiterten bisher. Auch ein letzter Kompromissvorschlag Ende Juli 2017, den Wert von 175 auf 190 Milligramm nach oben zu setzen. Bisher hatte die Bundesregierung unliebsame Vorschriften aus Brüssel, beispielsweise bei den CO2-Grenzwerten für PKW, immer im letzten Moment verwässern können.
Der Unterschied zwischen den 190 und den 175 Milligramm ist aus deutscher Sicht offenbar gravierend. Während die deutschen Braunkohlemeiler die 190 Milligramm wohl mit Ach und Krach einhalten, drohen bei 175 Milligramm teure Nachrüstungen oder, wenn sich diese nicht rechnen, Stilllegungen. Nur zwei Kraftwerke – Lippendorf und Schwarze Pumpe – sollen den schärferen EU-Wert ohne weitere Nachrüstungen einhalten können. Das geht aus Regierungsunterlagen hervor, die bizz energy vorliegen.
Kohlekraftwerke sind Spitzenreiter beim Stickoxid-Ausstoß
Die strengeren Regeln haben ihre Gründe: Sie sollen die Umwelt, aber auch die Gesundheit der Anwohner schonen: Stickoxide können Herzkreislaufkrankheiten auslösen, Quecksilber ist ein hochgiftiges Schwermetall.
Immerhin rund ein Drittel der Belastung durch Stickoxide in Deutschland entsteht durch die Verbrennung von Gas, Öl, Holz und Kohle. Kohlekraftwerke sind dabei die Spitzenreiter – vor allem, wenn sie mit Braunkohle befeuert werden. Nach Schätzung des Umweltbundesamts werden durch die neuen EU-Grenzwerte rund fünf Prozent weniger der toxischen Emissionen ausgestoßen. Das sind pro Jahr mehr als 5.000 Tonnen Stickoxide, ungefähr so viel, wie 700.000 Diesel-Pkw pro Jahr in die Luft blasen.
Ministerien in Schockstarre
Seit dem EU-Beschluss verharren Bundeswirtschafts- wie Umweltministerium in einer Art Schockstarre: Auch ein Jahr, nach dem Deutschland die Abstimmung verlor, will sich das zuständige Umweltministerium auf keinen Termin für eine Umsetzung der EU-Verordnung festlegen: Diese erfolge zu einem „späteren Zeitpunkt“, aber noch „fristgerecht“, versichert die Behörde auf Anfrage von bizz energy.
Allerdings schreibt das Bundesimmissionschutzgesetz vor, dass die Regierung spätestens zwölf Monate nach dem EU-Beschluss die Änderungen umzusetzen hat – das aber wird auf die lange Bank geschoben.
Denn schon kurz nach dem EU-Entscheid vor einem Jahr bekamen Betreiber und Braunkohle-Bundesländer Panik: So bettelte der damalige sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich bei Ex-Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries darum, „im Namen von Brandenburg, NRW und Sachsen-Anhalt“ eine „Nichtigkeitsklage“ einzureichen. Der Grund seien soziale und wirtschaftliche Auswirkungen der „rechtswidrig zustande gekommenen EU-Vorgaben“, heißt es in dem Schreiben. Man halte diese für „unverantwortlich“.
Anschließend versuchte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) tatsächlich, den EU-Behörden falsche Berechnungen zu unterstellen: Die Emissionswerte für Stickstoffdioxid seien „fehlerhaft abgeleitet“ worden, heißt es in einem Schreiben an die deutschen Umweltverbände. Auch ein Jahr später hält das BMWi auf Anfrage daran fest, dass man die EU-Grenzwerte für „falsch kalkuliert“ hält.
Bundesregierung verzichtet auf Klage
Auch der Ministerpräsident von Brandenburg, Dietmar Woidke, richtet empörte Briefe nach Brüssel. Ihm dränge sich der Eindruck auf, schreibt Woidke an EU-Kommissionsmitglied Karmenu Vella, dass die schärferen Grenzwerte mit einer „rein politischen Mehrheitsentscheidung“ durchgedrückt wurden. Er bezweifelt die Rechtmäßigkeit der EU-Abstimmung. Woidkes Formulierungen ähneln allerdings stark Argumenten, die Thorsten Diercks, Hauptgeschäftsführer des Braunkohleverbandes Debriv, wenige Tage zuvor in einem Vortrag verwendete. Die Vermutung liegt nahe, dass Debriv den Ministerpräsidenten dazu beraten hat, wie gegen die EU-Verordnung vorgegangen werden könnte.
Trotz aller, der EU unterstellten Fehler verzichtete die Bundesregierung – anders als Polen und Bulgarien – aber bisher darauf, vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die neuen Grenzwerte zu klagen. Nur der Freistaat Sachsen trat im Februar 2018 einer Klage der Kohle-Dachverbände und deutscher Kraftwerksbetreiber gegen den EU-Beschluss über neue Abgasgrenzwerte für Großfeuerungsanlagen bei.
Leag zurückhaltend bei Herausgabe von Daten
Sachsen zeigt sich auch besonders zugeknöpft, wenn es darum geht, die Emissionsdaten der Kohlekraftwerke im Land offen zu legen. Unternehmen wie Leag, das in Sachsen das Braunkohlekraftwerk Boxberg betreibt, sind verpflichtet, den Landesbehörden die Emissionsdaten für die jeweiligen Meiler zu übermitteln. Die Betreiber rücken die Angaben aber nicht nur sehr ungern heraus – die zuständigen Landesbehörden verlangen zudem horrende Gebühren für die gesetzlich vorgeschriebene Weitergabe der Daten. Das berichtet das Bündnis Klima-Allianz, das eine entsprechende Anfrage nach Schadstoffwerten stellte und nun eine Rechnung von mehr als 1.000 Euro auf dem Tisch hat.
Zudem scheinen die Mitarbeiter der Behörden die von der EU geforderte beste Technik, um die Kraftwerke sauberer zu machen, selbst noch nicht zu kennen. Der unter anderem von Großunternehmen gesponserte Verband der Ingenieure (VDI) bietet den Beamten auf jeden Fall schon mal Schulungen an: Für eine Tagesgebühr von 1.000 Euro können die Staatsdiener im kommenden Herbst von einem Wirtschaftsverband lernen, was sie künftig laut EU-Vorgabe in den Kraftwerken zu überwachen haben.