(Der SPIEGEL 8/5/2020) Der Shutdown ist schlecht für die Wirtschaft und gut fürs Klima. Wissenschaftler bezweifeln aber, dass das Verhalten der Menschen dauerhaft klimafreundlicher wird.

Die Welt hängt am Öl wie der Junkie an der Nadel. Doch ohne die Welt ist auch das Öl nichts mehr wert. Das zeigte sich Ende April, als der Ölpreis ins Negative rutschte. Die Ölspeicher sind weltweit randvoll, viele Produzenten ringen mit der Abschaltung ihrer Anlagen. Das schwarze Gold aus der Tiefe braucht gerade niemand, weil die Welt stillsteht.

Wovon Klimaschützer seit Jahrzehnten träumen, ist wahr geworden: Weil Flugzeuge am Boden bleiben, Schiffe im Hafen und Autos in Garagen, werden weniger Kraftstoffe verbrannt. Die Folgen sind schnell sichtbar: glasklare Hafenbecken, Wildtiere auf Autobahnen und Himmel ohne Kondensstreifen.

Plötzlich könnte sogar die Bundesregierung ihr Klimaziel für 2020 erreichen, das sie schon längst aufgegeben hatte. Durch Corona bekommt die Atmosphäre eine Verschnaufpause: Rund elf Prozent niedriger könnte der CO2-Ausstoß in diesem Jahr ausfallen, haben Forscher der britischen Wetter- und Klimabehörde Metoffice errechnet.

Allerdings sei nur der Anstieg gebremst – die Anreicherung mit Treibhausgasen in der Atmosphäre damit aber keinesfalls gestoppt. „Man kann sich das wie eine Badewanne vorstellen, die langsam vollläuft – durch Corona haben wir den Wasserhahn nur etwas runtergedreht“, schreibt das Forscherteam.

Doch schon das leichte Abregeln dieses Wasserhahns – also weniger CO2-Emissionen – kommt nur zustande, weil die Weltwirtschaft dramatisch eingebrochen ist. Auch in Deutschland hat die Krise für den größten Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg gesorgt – in gerade einmal acht Wochen.

Gleichzeitig erleben wir die Folgen der „vollen Badewanne“ – um im Bild der britischen Forscher zu bleiben: Das Jahr 2020 könnte ein weiteres Hitzejahr werden und sich damit in immer neue Temperaturrekorde der letzten Jahre einreihen. Die ersten drei Monate war es zu heiß und viel zu trocken. Laut Deutschem Wetterdienst erlebte Europa das wärmste erste Quartal seit 100 Jahren. Die Folgen sind dramatisch: Absterbende Bäume, sandige Böden, alarmierte Bauern.

Einmal mehr sieht es nach einem Duell zwischen Wirtschaft und Klimaschutz aus. Derzeit bemessen Konjunkturforscher die Gesundheit der Volkswirtschaft danach, wie stark sie wächst. Am Laufen gehalten wird die Wachstumsmaschine auch in Deutschland immer noch zu mindestens 80 Prozent mit fossilen Rohstoffen.

Wachstumslogik: Je mehr CO2, desto besser für alle

Deshalb gilt immer noch: Ein hoher CO2-Ausstoß spricht für eine prosperierende Wirtschaft. Das oberste Ziel ist es nach Corona, diesen Wachstumsmotor wieder anspringen zu lassen – und zwar so schnell wie möglich. Die Messlatte ist das Bruttoinlandsprodukt, die einfache Summe aller produzierten Dienstleistungen und Waren. Dabei spielt es keine Rolle, welche Waren unter welchen Bedingungen hergestellt wurden. Das BIP ist neutral – auch gegenüber dem Klimaschutz.

„Beim Bruttoinlandsprodukt werden weder soziale noch ökologische Entwicklungen abgebildet“, so der Ökonom Philipp Lepenies an der Freien Universität Berlin. Denn weder bilde Wirtschaftswachstum die Verteilung des erwirtschafteten Geldes ab, noch, welche ökologischen Folgekosten pro Fabrikschlot, Plastiktüte oder produziertem Kilo Fleisch anfallen.

„Wir haben für Waren einen Preis, der am Markt festgelegt wird, aber für umweltrelevante Dinge wie die Tonne ausgestoßenes CO2 oder den Kubikmeter kontaminierten Grundwassers durch Überdüngung gibt es so etwas nicht“, so Lepenies. „Der Verkauf eines Autos generiert dabei leider einen Preis, der weder die CO2-Folgen fürs Klima noch die Gesundheitskosten durch den Feinstaubausstoß berücksichtigt.“ Das seien aber Kosten, die durch das Auto entstünden. Diese müsste dann letztendlich der Steuerzahler tragen.

Alternativen und Änderungsvorschläge zum BIP gibt es genug. Allerdings keine, die politisch bislang überzeugen konnten, so der Wissenschaftler. „Der politische Erfolg des BIP und der Wachstumsidee stammt aus einer Zeit, in der Wachstum automatisch mehr Arbeitsplätze und mehr Einkommen für alle bedeutete“, so Lepenies. Diese Wirtschaftswunderzeiten seien lange vorbei. Nur die Politik glaube in Krisenzeiten immer noch daran. „Die Reaktion auf die Coronakrise zeigt diese alten Reflexe“, meint der Ökonom.

Sichtbar wird das etwa in der Rettungslogik der Bundesregierung: Prioritär sind Airlines und die Autoindustrie – zwei Branchen, die jahrzehntelang auf Kriegsfuß mit dem Klimaschutz standen. Statt einer Abwrackprämie forderten Klimaschützer deshalb eine Mobilitätsprämie, die Alternativen zum Verbrenner wie Fahrräder, Pedelecs, E-Autos oder günstige Bahntickets fördert.

„Wir dürfen nicht wieder in die alte Normalität zurück“, warnte der britische Ökonom Nicolas Stern auf dem Petersberger Klimadialog vor zwei Wochen. Corona sei ein weiterer Beweis dafür, wie anfällig die Volkswirtschaften sind. In seinen Berichten streitet Stern seit knapp 15 Jahren dafür, die Staaten krisenfest zu machen – weg von einem Wachstum, das die Folgekosten von Klimawandel und Ungerechtigkeit einfach ausblendet.

Corona als Reallabor einer grüneren Welt

Welche Kriterien die Bundesregierung anlegt, wenn sie Milliardenhilfen und Kredite verteilt, wird darüber entscheiden, ob die Wirtschaft in der Post-Corona-Zeit wirklich grüner oder sogar noch CO2-intensiver sein wird. In China ist der Motor bereits wieder angesprungen – und mit ihm steigt auch wieder die CO2-Kurve.

Einige hoffen, dass die Krise zumindest die Menschen verändert. „Der Lockdown ist wie ein Reallabor, weil wir beobachten können, was passiert, wenn nichts passiert“, so Forscher Lepenies.

Tatsächlich haben viele über Wochen neue Erfahrungen gemacht. Statt mit dem Auto zum großen Lebensmittelmarkt zu fahren, ging es zu Fuß zum Laden nebenan und statt auf Shoppingtour am Wochenende blieb nur der Park oder ein Fahrradausflug. Im neuen Alltag gab es positive Erfahrungen wie saubere Stadtluft oder weniger Straßenlärm.

Denkbar ist laut Lepenies, dass sich bisher Undenkbares als Gewohnheit einschleift – einfach, weil man es erlebt und für gut befunden hat. „Vorher wurde uns erzählt, dass das alles gar nichts bringt – aber der Beweis ist nun erbracht“, sagt Lepenies.

Dass die Menschen auch nach der Krise weiter klimafreundlich leben, bezweifeln allerdings Sozialpsychologen. „Erzwungene Verhaltensänderungen erhalten sich langfristig vermutlich eher nicht“, sagt Florian Kaiser, der eine Professur an der Magdeburger Otto-von-Guericke-Universität innehat.

Er hat dazu eine Studie gemacht, in der er Studenten dafür bezahlt hat, sich vegetarisch zu ernähren. Nachdem der Geldanreiz verschwand, ging aber auch die Lust am Gemüse wieder zurück. „Trotz der von uns angenommenen positiven Erfahrung einer gesunden Ernährung änderte sich die Gewohnheit des Fleischessens nicht“, so Kaiser.

Er vermutet, dass es vor allem auf die eigene Motivation ankomme. Auch bei der Coronakrise verzichteten die Menschen nicht freiwillig auf Konsum und Fernreisen. Deshalb sei es leider unwahrscheinlich, dass die meisten durch Corona zu Klimaschützern werden, so der Psychologe.

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