Für Unruhe dürfte auch noch eine weitere Änderung sorgen, die das Wirtschaftsministerium in das Gesetz hineinkorrigiert hat: Während das gesamte Ausstiegsgesetz vom Bundestag beschlossen wird, will die Regierung nun den Paragrafen 49 auslagern. In diesem sind die Details für den Braunkohleausstieg geregelt. Allerdings ist das in anderen Versionen wieder rückgängig gemacht worden. Derzeit verhandelt das Kabinett noch darüber.
Milliarden für die marode Braunkohle
Dafür hat die Regierung in den vergangenen Wochen mit den Betreibern der Braunkohlekonzerne verhandelt. Die daraus entstandenen „öffentlich-rechtlichen Verträge“ müssen nun dem Bundestag nicht mehr gesondert zur Zustimmung vorgelegt werden. Das Parlament bekommt diese „zur Kenntnis“. Sind die Abgeordneten etwa mit den jetzt erhöhten Abfindungssummen in den Verträgen nicht einverstanden, müssen sie jetzt gegen das gesamte Gesetz und damit gegen den Kohleausstieg stimmen. Das dürfte vor allem den Grünen nicht leichtfallen, die seit Monaten darauf drängen, dass der Kohleausstieg endlich vorankommt.
Zudem enthalten die Verträge die bereits bekannten Milliardenentschädigungen. Für die Stilllegung aller Kraftwerke bis spätestens 2038 sollen insgesamt 4,35 Milliarden Euro an die beiden Unternehmen RWE und die Leag fließen. RWE soll noch in diesem Jahr das erste Kraftwerk vom Netz nehmen. Kritiker hatten im Vorfeld bemängelt, dass die Summen angesichts massiven Wertverfalls der Braunkohle nicht mehr angemessen seien.
Relativ deutlich sind die Verträge jedoch bei der „bergrechtlichen Verantwortung“ von Leag und RWE: Vorgeschrieben wird eine „Sicherung der Entschädigungszahlungen für die Kosten der Wiedernutzbarmachung der Tagebaue“, heißt es in den Verträgen. Demnach kann sich beispielsweise der Betreiber nach einer Insolvenz oder der Schließung der Kraftwerke nicht einfach verabschieden. Die Gelder müssen Leag und RWE demnach auch dafür nutzen, die durch die Braunkohlebagger verwüsteten Landschafen wieder nutzbar zu machen.
Die Opposition im Bundestag ist nach einer ersten Lektüre der Entwürfe enttäuscht. Die Änderungsvorschläge hätten das Gesetz für einen Kohleausstieg nicht verbessert – im Gegenteil. „Bei den viel zu großen Entschädigungssummen erwarte ich einen ernsthafteren Klimaschutz“, so Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. „Gerade die Braunkohlekraftwerke werden viel zu spät und gehäuft abgeschaltet.“ Das bedeute einen deutlich höheren CO2-Auststoß und unter Umständen energietechnische Probleme, wenn viele Kraftwerke auf einmal vom Netz gehen. „Warum die alten und abgeschriebenen Kohlekraftwerke noch Entschädigungen bekommen, kann man dem Steuerzahler eigentlich nicht erklären“, schimpft Krischer.
„Die Verträge sind besser als ihr Ruf“, kommentiert Kai Niebert, Chef des Deutschen Naturschutzrings und einer der größten Kritiker in der ehemaligen Kohlekommission. „Mit den viel zu hohen und gerade für die Leag nicht zu rechtfertigenden Entschädigungen wird die Braunkohle großzügig beerdigt, aber immerhin nicht künstlich am Leben gehalten.“ Der Braunkohleausstieg könnte nach der derzeitigen Marktlage sogar „von allein“ passieren, weil die Energieform einfach nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Rechtlich ist ein früherer Ausstieg durch das vorliegende Gesetz sogar möglich. „Der Kohleausstieg wird mit fortschreitender Klimakrise schneller kommen, als die Kohlekommission geahnt hat. Das wird mit dem Gesetz teuer erkauft, aber die ausgehandelten Verträge machen das durchaus möglich.“
Kohleexperten wie Felix Matthes vom Öko-Institut und auch ehemals Mitglied der Kohlekommission sieht noch andere Fallstricke in dem Gesetz: So könnten sogar noch mehr Braunkohlebetreiber aus Mitteldeutschland durch die Hintertür an Entschädigungen kommen, obwohl für Stilllegungen nach 2030 grundsätzlich keine Entschädigungen mehr gewährt werden sollten. „Durch einen Termin-Trick könnte die Politik den Betreibern der Mitteldeutschen Braunkohlegesellschaft noch mal zusätzlich Gelder zahlen müssen“, meint Matthes. „Allgemein sind die Zahlungen für die Braunkohle in Ostdeutschland deutlich zu hoch angesetzt – deshalb ist es sehr fraglich, ob das mit dem EU-Beihilferecht vereinbar ist.“
Ein besonders großer Skandal sei, dass das Braunkohleunternehmen Leag durch das Gesetz sogar bereits ab diesem Jahr die ersten Gelder bekommen dürfte, obwohl erst 2025 das erste Kraftwerk abgeschaltet wird. „Die Länder begründen das mit der Rekultivierung der Tagebaufolgelandschaften, aber im Grunde ist es eine Liquiditätsspritze als Geschenk an den Betreiber, der bis dato noch gar nichts getan hat und seine Tagebaue etwa so ausbeutet wie vor dem Ausstieg genehmigt.“
Symbolpolitik: Hambacher Forst retten
Ein Zugeständnis an Klimaaktivisten ist die versprochene Erhaltung des Hambacher Forsts. Im Vertrag zwischen dem Bund und den Braunkohleunternehmen heißt es: „Durch die Einhaltung des Stilllegungspfads kann sichergestellt werden, dass der Hambacher Forst (…) in seinem derzeitigen Erscheinungsbild (…) erhalten bleibt.“ So wolle RWE Power den Hambacher Forst „entgegen der bisherigen Unternehmensplanung“ nicht für den Tagebau in Anspruch nehmen, heißt es in dem Papier.
Der Hambacher Forst hatte sich in den vergangenen Jahren zu einem Symbol des Widerstands gegen die klimaschädliche Stromgewinnung aus Kohle entwickelt. Grüne und Linkspartei glauben noch nicht so recht an das Zugeständnis: Es gebe weiterhin keine rechtliche Absicherung, dass der Forst nicht abgebaggert wird. „Mit der Verschonung des Hambacher Forstes gewährt die Bundesregierung der Klimabewegung einen symbolischen Sieg, findet aber deswegen noch lange nicht zu einer Politik, die das Klima tatsächlich schützt“, findet der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger.
Original auf SPIEGEL.DE