(Der SPIEGEL 23/5/2020) Ein erster Entwurf für einen grünen europäischen Aufbauplan ist so fortschrittlich, dass selbst Umweltorganisationen es kaum glauben können. Nur eine Kaufprämie für saubere Autos stiftet Verwirrung.
Während man in Deutschland noch darüber diskutiert, wie klimafreundlich Corona-Konjunkturprogramme sein sollen, arbeiten die EU-Kommissare in Brüssel schon seit Wochen an einem europaweiten „Recovery-Plan“. Der soll nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem Klima helfen, zeigt nun ein erster Entwurf, der dem SPIEGEL vorliegt.
Der interne Plan ist ambitioniert: Neben der Förderung von erneuerbaren Energien und Wasserstofftechnologien, sollen allein mehr als hundert Milliarden Euro in die Verkehrswende fließen.
- 40 bis 60 Milliarden sind vorgesehen, um schadstoffreiche Benziner und Diesel durch emissionsfreie Fahrzeugantriebe zu ersetzen.
- Auch eine Art Kaufprämie ist angedacht: Mit 20 Milliarden soll in den nächsten zwei Jahren der Kauf von „sauberen“ Autos gefördert werden.
- Rund zwei Millionen Ladesäulen für E-Autos sollen errichtet werden.
- Neben Autos sollen laut dem Papier auch 40 Milliarden in die „Renaissance der Schiene“ gesteckt werden. Sogar ein Comeback europäischer Nachtzüge erwähnt das Papier.
- Neben dem Verkehr will die Kommission auch die derzeitige Renovierungsrate bei Gebäuden verdreifachen: Für klimafreundliche Sanierungen wie Dämmung und erneuerbare Wärmeversorgung sollen pro Jahr 91 Milliarden Euro bereitstehen.
„Es ist der erste konkrete Schritt des europäischen ‚Green Deal'“, sagt der Energieexperte Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin dem SPIEGEL. „Die EU-Kommission steht damit zu ihrem Versprechen, gerade in der Coronakrise in klimafreundliche Infrastruktur zu investieren.“
Allerdings seien die Zahlen mit Vorsicht zu behandeln: „Das Papier ist nur ein Entwurf, und bei vielen Milliardensummen ist nicht klar, ob es sich hier um Förderbeträge oder sogenannte gehebelte Summen handelt.“
So hantiere die EU-Kommission gern mit verschiedenen Zahlen, beispielsweise bei Mischfinanzierungen aus Krediten, Garantien, Fördersummen und Kofinanzierungen durch die Mitgliedstaaten. Das sei in dem internen Papier an vielen Stellen noch nicht eindeutig.
Zankapfel Kaufprämien für „saubere“ Autos
„Das ist ein unglaublich fortschrittlicher Entwurf“, lobt auch Luca Bonaccorsi vom europäischen Dachverband der Verkehrs- und Umweltorganisationen „Transport & Environment“. „Die Kommission will Investitionen dort anschieben, wo die Dekarbonisierung des Verkehrs noch stark hinterherhinkt.“
An zentralen Stellen bleibe aber schwammig, was sich wirklich hinter den gut klingenden Begriffen verbirgt: Beim Thema „Automotive“ geht es in dem Papier beispielsweise darum, dass der Verkauf von „Clean Vehicles“, also sauberen Fahrzeugen gefördert werden soll. „Das kann aber auch ein neuer Diesel sein, der weniger Schadstoffe ausstößt als sein Vorgänger“, was problematisch sei, da Diesel keine Subventionen mehr erhalten sollten, meint Bonaccorsi.
Aus Brüssler Kreisen heißt es, führende Spitzenmanager der europäischen Autoindustrie hätten bei einem Treffen mit EU-Kommissaren auf solche Prämien gedrängt.
Deshalb glaubt Umweltschützer Bonaccorsi: „Diese Formulierungen sind keinesfalls zufällig, sondern bewusst in das Papier geschrieben worden.“ Wäre sich die Kommission einig, hätte man an dieser Stelle nur „elektrische Fahrzeuge“ geschrieben, glaubt er. Die Summe von 20 Millionen Euro sei aber nachvollziehbar, versichert der Verkehrsexperte. Damit könnte pro Elektro-Pkw eine Prämie von rund 5000 Euro ausgezahlt werden.
Luftfahrt ist draußen
Froh ist Luca Bonaccorsi auch, dass die Flugbranche in dem Papier nicht erwähnt wird. „Wer ohnehin steuerlich bevorteilt wird und klimaschädliche Technologien hat, sollte nicht gefördert werden.“
Oliver Geden ist darüber eher verwundert: „In Zeiten, wo Länder wie Frankreich und Deutschland über riesige Rettungspakete für Airlines verhandeln, ist das eher ungewöhnlich.“ Er glaubt, dass die Luftfahrt noch an anderen Stellen des EU-Recovery-Plans auftauchen könnte. „Der Entwurf für den ‚Green Deal‘ ist zwar ambitioniert, aber wir wissen ja nicht, was im Rest des Plans noch steht“, so Geden.
Die EU-Kommission will ihren Vorschlag für ein europäisches Wiederaufbauprogramm nächsten Mittwoch vorstellen. Dann beraten die Mitgliedstaaten darüber. Ob der Plan wirklich so grün wird, wie das geleakte Papier vorgibt, bezweifeln Experten.
Insider vermuten, dass es vom Klimakommissar Frans Timmermans stammt. Allerdings reden auch noch andere Kommissare mit. Angeblich werde der Recovery-Plan derzeit auf der höchsten Ebene, also im Umfeld der Kommissionschefin Ursula von der Leyen beraten. Bis der Plan von Mitgliedstaaten und EU-Parlament abgestimmt ist und in Kraft tritt, könnten noch Monate vergehen.
Original auf Spiegel.de