(Der SPIEGEL 10/09/21) Es bleiben nur noch wenige Wochen bis zum Uno-Klimagipfel in Glasgow. Kommen die neuen afghanischen Machthaber? Allen Grund hätten sie: Das Land leidet besonders unter den Folgen der Erderwärmung.
Den Uno-Weltklimavertrag haben rund 200 Staaten unterschrieben. Darunter auch viele Länder, deren Regierungen auf Demonstranten schießen, Oppositionelle foltern oder Minderheiten und Kritiker in Arbeitslager sperren. Voraussetzung, dass man beim Klimaschutz mitmachen darf, ist nicht die Einhaltung der Menschenrechte oder Demokratie, sondern die Einreichung von ehrgeizigen Klimaplänen. Das klingt hart – aber die Idee von Paris ist, die Klimakrise zu lösen und nicht politische Konflikte.
Deshalb stellten sich einige Klimaexperten kürzlich die Frage, ob man zur nächsten
Uno-Klimakonferenz in Glasgow auch die diese Woche
ernannte Taliban-Regierung einlädt. Afghanistan ist immerhin offizielles Mitglied des Abkommens. Das Land hat sogar
vorbildlich ein NDC, also eigene Klimaziele, eingereicht und will seine Emissionen bis 2030 um rund 14 Prozent reduzieren.
Rund drei Monate vor der Uno-Klimakonferenz haben die Taliban nach 20 Jahren Nato-Militäreinsatz in Afghanistan die Macht übernommen und eine Regierung gebildet. Tausende fliehen vor dem neuen Regime, besonders Frauen fürchten Unterdrückung, Kritiker der Islamisten Verfolgung. Das Land versinkt in Chaos und Gewalt.
Die Hölle auf Erden: Krieg und Klimawandel
Berechtigterweise könnte man fragen: Vielleicht haben die Taliban mit der Klimakrise nichts am Hut, sind sogar Klimaleugner oder haben nun wirklich erst mal »andere Probleme«. Aber so einfach ist es nicht. Wie die »New York Times« in einem ausführlichen Beitrag darlegt, ist das Land extrem von den Folgen des Klimawandels betroffen. Afghanistan ist ein echter Hotspot des Klimawandels, dort steigen die Temperaturen sich doppelt so schnell wie im weltweiten Durchschnitt. Es gibt häufiger Dürren, Regenperioden fallen teilweise komplett aus.
Da das Land kein Industrie-, sondern Agrarstaat ist, trifft das veränderte Klima die Menschen besonders hart. Afghanische Bauern leben vom Anbau und Export von Produkten wie Granatäpfeln, Pinienkernen und Rosinen. Gleichzeitig müssen sich viele mit ihren Feldern selbst versorgen.
Nicht nur die Militäreinsätze verhindern vielerorts das Einbringen der Saat oder zerstören die Felder, sondern die Trockenheit lässt die Ernten auch noch verdorren. Klimawandel und Krieg – die wohl tödlichste Mischung. Diese Hölle teilt Afghanistan mit Ländern wie Somalia, Mali oder Syrien.
Gleichzeitig begünstigen die Folgen des Klimawandels auch Terrorgruppen. »Wie der Klimawandel die Taliban stärkt«, titelt der US-Sender CBS. Denn je verzweifelter die Menschen, desto mehr seien sie bereit, sich ihnen anzuschließen. Eine Wahl haben sie meist nicht. Und je instabiler der Staat und seine Institutionen, desto mehr Terrain gewinne der Terror.
Länder wie Afghanistan sind auf
internationale Hilfe angewiesen – allein können sie sich weder an die Klimafolgen anpassen noch ihre Produktion umstellen oder überhaupt das Land elektrifizieren. Deshalb ist es gar nicht so abwegig, sich die Taliban auf der Klimakonferenz in Glasgow vorzustellen. Genauso wie viele andere arme Länder könnten sie durch das Pariser Abkommen auf finanzielle Hilfen und einen Technologietransfer hoffen. Ihre neuen Minister hätten also allen Grund, im November einen Flug in die britische Metropole zu buchen.
Dürfen die Taliban zum Klimagipfel?
Auf die Nachfrage bei den Gastgebern der COP26 (in diesem Jahr die britische Regierung), ob die Taliban – sofern sie denn wollten – an der Uno-Klimakonferenz teilnehmen können, verwiesen diese verschnupft auf Premierminister Boris Johnson. Der sagte in einer Rede, dass es ein Fehler sei, die Taliban-Regierung offiziell anzuerkennen.
Subtext: Erst wenn der Westen das neue Regime anerkennt, können die Taliban nach Glasgow. Und weil die Taliban auf Entwicklungshilfe angewiesen sind, könnten sie sich irgendwann nach außen moderat geben, sich auf Deals mit dem Westen einlassen und würden irgendwann doch anerkannt. Dann könnten sie auch zur Uno-Klimakonferenz. Genauso wie Nordkorea, der Kongo oder Belarus.