(Die Zeit Ausgabe 47/12/11/2020) Die Bundesregierung will viel Geld investieren, um US-Gas zu importieren – trotz Kritik von Umweltschützern.
Als der Vermessungstechniker einer Gasfirma in Hans-Peter Stegerts Acker bohren wollte, verwehrte ihm der Landwirt erst einmal den Zutritt. „Seit wann dürfen hier einfach Wildfremde auf meine Felder?“, fragt der Landwirt aus Moorrege, einem Dorf nordwestlich von Hamburg.
Stellvertretend wird auf Stegerts Feldern gerade eine sehr große Frage verhandelt: Woher soll unsere Energie künftig kommen? Aus Russland, wie geplant, oder doch auch aus den USA, wie es die Bundesregierung jüngst zusicherte? Der Acker liegt ziemlich genau zwischen dem Hafen von Brunsbüttel und Hamburg. Unter Stegerts Hafer- und Erbsenfeld könnte schon bald eine Pipeline verlaufen, die aus den USA importiertes verflüssigtes Erdgas (LNG) vom Hafenterminal Richtung Stadt transportiert.
All das wusste Stegert noch nicht, als er den Techniker des Feldes verwies. Umso überraschter war er, als er wenige Wochen später ein Einschreiben des Amtes für Planfeststellung Energie, einer Unterbehörde des schleswig-holsteinischen Ministeriums für Energie und Umwelt in Kiel, mit einer Duldungsanordnung erhielt. Der Techniker, ein Mitarbeiter der Gasunie Deutschland Transport Services GmbH (GUD), müsse geduldet werden. „Mir und meinen Nachbarn wurde mit Zwangsgeld und Polizei gedroht, sollten wir nicht mit der GUD kooperieren. Ich bin fassungslos, dass die Landesregierung sich auf die Seite der Gaswirtschaft schlägt“, sagt der Landwirt.
So wurde Stegerts Feld zu einem Schauplatz der Weltpolitik. Die US-Regierung und die Konzerne fürchten – ob mit Trump oder ohne – ins Hintertreffen zu geraten, sollte Deutschland vor allem von Russland aus mit Erdgas versorgt werden. Russland wiederum erwartet, dass der gestoppte Bau der neuen Ostseepipeline endlich zum Abschluss gebracht wird. Und die Bundesregierung will das Unmögliche: es sich weder mit Russland noch mit den USA verscherzen.
Das scheint dem von Peter Altmaier (CDU) geführten Bundeswirtschaftsministerium viel wert zu sein. Noch 2019 kalkulierte es mit 134 Millionen Euro für den Bau von „Anbindungsleitungen“ der drei möglichen Flüssiggas-Terminals, neben Brunsbüttel sind Wilhelmshaven und Stade im Gespräch. Recherchen der ZEIT ergaben nun, dass die Netzbetreiber mit Mehrkosten von über 800 Millionen Euro für den gesamten Netzausbau rechnen. Kosten, die am Ende auf die Gaskunden zukommen.
Selbst das Wirtschaftsministerium rechnet mit höheren Preisen
Es sei mit „einem Anstieg der Gaspreise für Letztverbraucher zu rechnen“, hieß es schon 2019 in einer Verordnung des Bundeswirtschaftsministeriums. Allerdings erwarte man „keine wesentliche Steigerung“. Constantin Zerger, Energie-Experte bei der Deutschen Umwelthilfe, sagt aber, wer am Ende zahlt: „Versteckt im Gaspreis, landet die Schlussrechnung doch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern.“
über 40 %der deutschen Erdgas-Importekommen aus Russland
Die neuen Kostenprognosen gehen aus Daten des Netzentwicklungsplanes hervor. Dort steht zum Beispiel, dass von Brunsbüttel nach Hetlingen 60 Kilometer neue Rohre für rund 80 Millionen Euro verlegt werden müssen – und dass diese direkt am Hof von Bauer Stegert vorbeiführen sollen. „Zum Anschluss der geplanten LNG-Anlage in Brunsbüttel ist der Bau einer Leitung von Brunsbüttel bis Hetlingen inklusive aller notwendigen technischen Einrichtungen notwendig“, heißt es in dem Plan.
Die Kostenexplosion erklärt sich so: Die vom Bundesministerium genannte Summe beziehe sich ausschließlich auf die Netzanschlüsse und nicht auf den Pipelineausbau für den „Netzzugang der LNG-Terminals“, teilt die Bundesnetzagentur mit. Diese Behörde ist dem Wirtschaftsministerium untergeordnet und erwartet nicht, dass 134 Millionen Euro für die Finanzierung reichen. Sie rechnet mit 200 Millionen. Auch die 600 Millionen Euro Zusatzkosten für die neuen Pipelines bestätigt die Behörde. Der Pipelinebauer Fluxys teilt mit, die Unterschiede in der Kostenschätzung ergäben sich aus dem „unterschiedlichen Planungsstand“.
Denn die Planungen scheinen alles andere als sicher: Am vergangenen Freitag sagte Uniper, der Betreiber des geplanten LNG-Terminals in Wilhelmshaven, das Interesse an den Flüssiggas-Importen sei gering. „Wir können heute noch nicht absehen, wie der Zuschnitt des Importterminals aussehen wird“, so ein Sprecher.
Die Deutsche Umwelthilfe stört aber noch etwas anderes: Das Erdgas aus den USA wird mittels Fracking gefördert. Das sogenannte Schiefergas befindet sich in tiefen Tonschichten und wird beim Fracking aus dem Boden geholt, indem unter hohem Druck Wasser und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst werden. Durch diese Technik kam es in den vergangenen zehn Jahren zu einem Erdgasboom. Der hat die Energiepreise in den USA gesenkt, aber auch zu erheblichen Umweltschäden geführt.
Abgesehen von diesen unmittelbaren Folgen, ist das Gas auch eine Gefahr für den Klimaschutz. So entweicht bei der Förderung das geruchlose Gas Methan, das die Atmosphäre in den ersten zwanzig Jahren nach dem Austritt noch rund 80-mal mehr aufheizt als CO₂. Forscher machen die Gasförderung weltweit für rund ein Drittel der Emissionen aus fossilen Energien verantwortlich.
„Energiewirtschaftlich unnötig und klimapolitisch schädlich“
Frankreich hat deshalb von ursprünglichen Plänen einer Gas-Kooperation mit den USA Abstand genommen. Peter Altmaier dagegen setzt sich seit Jahren für neue Flüssiggas-Terminals in Stade, Brunsbüttel und Wilhelmshaven ein und nannte sie schon 2018 eine „Geste an die amerikanischen Freunde“. Eine Geste, die die USA dazu bewegen soll, die Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland zu tolerieren. Altmaier versprach, die Netzbetreiber zu verpflichten, die erforderlichen Leitungen zwischen den LNG-Terminals und dem Fernleitungsnetz zu errichten. So werde sichergestellt, dass LNG in das deutsche Gasnetz eingespeist werden könne. Lange setzte die Regierung allein auf russisches Gas. Dann protestierte die US-Regierung scharf gegen den Pipelinebau. Darauf reagierte die Bundesregierung offenbar mit einem Gegengeschäft. Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Finanzminister Olaf Scholz (SPD) den Amerikanern angeblich mündlich und in einem Brief eine Milliarde Euro für die Förderung der US-Gasimporte angeboten hat. Dafür sollen sie die Sanktionen wieder ad acta legen. Die Bundesregierung dementiert nicht, sondern beruft sich auf „vertrauliche Gespräche“. Der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler (Grüne) kritisiert das: „Es ist inakzeptabel, dass Olaf Scholz offensichtlich versucht hat, mit Steuergeldern US-Fracking-Gas in Deutschland zu vergolden und gleichzeitig Trump zu besänftigen, um Nord Stream 2 freizukaufen.“
Dabei ist fraglich, wer das zusätzliche Gas überhaupt braucht. Das Wirtschaftsministerium räumt auf Anfrage ein, dass Deutschlands Gasbedarf eher sinken werde. Der Gasverbrauch in der EU hingegen werde aufgrund von Atom- und Kohleausstiegen steigen. „Entsprechend ist der Ausbau der deutschen Gasinfrastruktur im Rahmen des europäischen Binnenmarktes zu betrachten“, so eine Sprecherin.
Der europäische Rechnungshof bemängelte allerdings schon 2015: „Der Bedarf wird seit Jahren überschätzt, weil die EU keine eigene Rechnung anstellt, sondern sich auf externe Prognosen verlässt.“ Auch die Bundesnetzagentur hält den Gasbedarf für eher überschaubar. Noch 2017 hieß es aus der Behörde, dass „die innerdeutschen Leistungsbedarfe auch ohne Nord Stream 2 und ohne weitere Netzausbauten gedeckt werden können“. Im Klartext: Weder bedarf es neuer Terminals noch neuer Pipelines. In diesem Herbst klingt das aber schon anders: Auf Anfrage teilt die Behörde nun mit, dass es nicht darum gehe, was erforderlich sei oder nicht. Dafür sei das Bundeswirtschaftsministerium zuständig.
Die Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Gasbedarf in Europa. Sie sagt: „Die Planung der drei Terminals ist energiewirtschaftlich unnötig und klimapolitisch schädlich.“
Geld kosten die Vorhaben die Steuerzahler bereits jetzt. Laut der Landesregierung Schleswig-Holstein sind für den Bau des LNG-Terminals in Brunsbüttel dieses Jahr bereits fast drei Millionen Euro investiert worden – für Berater, Gutachten und den Straßenbau zur Anbindung der Terminals. Von dort aus sollen künftig auch die Schiffe im Hamburger Hafen mit LNG versorgt werden. Erste Kreuzfahrt- und Containerriesen fahren bereits damit – und stoßen deutlich weniger Schadstoffe aus.
Das Land Niedersachsen hat eigens eine LNG-Agentur gegründet, um für Flüssiggas zu werben. Auch das Bundeswirtschaftsministerium ist als Partner gelistet. Kosten für den Steuerzahler: eine dreiviertel Million Euro. Inwieweit die Baukosten der Gasnetzbetreiber auf die Verbraucher umgelegt werden, das beziffert die Gasunie, der Netzwerkbetreiber, der aufs Feld von Bauer Stegert will, nicht, das sei „spekulativ“.
Aufgrund von „außerordentlich komplexen Bodenverhältnissen in Schleswig-Holstein“ seien die Bodenproben schon vor der eigentlichen Genehmigung notwendig.