(Der SPIEGEL 1/9/2020) Mit der EEG-Novelle könnte sich entscheiden, ob Deutschland die Klimaziele für 2030 schafft. Auch Unionspolitiker drängen nun auf mehr Anreize für kleine Solaranlagen und Windenergie an Land, um die Energiewende zu retten.
Vor rund einem Jahr legte die Bundesregierung im Berliner „Futurium“ gegenüber dem Hauptbahnhof ihr Klimaschutzpaket vor. Hunderttausende protestierten derweil auf einer riesigen Klimademo für ein schnelles Ende des fossilen Zeitalters und die Enttäuschung über das Papier der Regierung war groß. Für ein „klares Politikversagen“ halten Klimaforscher und Aktivisten das Programm, mit dem die Regierung ihre CO2-Emissionen bis 2050 auf null senken will.
Trotz aller Kritik macht sich das Kabinett von Angela Merkel an seine Umsetzung. Nach der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes und der Einrichtung eines Klimarates ist nun die Energiewende an der Reihe.
Damit in den nächsten zehn Jahren der Anteil des Ökostroms auf 65 Prozent steigt – wie im Klimapaket vorgesehen – will die Regierung bis Ende des Jahres eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) beschließen. Ein erster Entwurf aus dem CDU-geführten Bundeswirtschaftsministerium kursiert bereits: Danach bekräftigt die Regierung das Ziel, den gesamten deutschen Strom bis 2050 ohne CO₂ zu produzieren.
Endlich mal konkrete Zahlen
Der Entwurf nennt nun genaue Zahlen für den Zubau von Wind- und Solaranlagen: Bis 2030 soll die Solarenergie auf 100 Gigawatt anwachsen, die Windenergie auf 71 Gigawatt und Biomasse soll dann bei einer installierten Leistung etwas über 8 Gigawatt liegen. Die Zahlen sind immerhin die Maximalmengen, die im Klimapaket angedeutet wurden – dort lag Solar nur bei 98 Gigawatt und bei Wind wurde eine Spanne von 67 bis 71 Gigawatt angegeben.
Damit signalisiert das von Wirtschaftsminister Altmaier geführte Ministerium, dass es bei der Energiewende Ernst machen will. Doch schon jetzt ist abzusehen, dass die Ausbauzahlen wohl kaum ausreichen, um die Klimaziele 2030 zu erreichen.
Energieexperten sind äußerst skeptisch: „Bis 2030 wird der Energieverbrauch stark ansteigen, schon weil wir mehr Elektroautos auf den Straßen haben und viel erneuerbare Energie für die Herstellung von Wasserstoff brauchen“, sagt Thorsten Lenck von der Denkfabrik Agora Energiewende. Es sei abzusehen, dass mit dem geplanten Zubau bei Wind und Sonne das 65-Prozent-Ziel nicht erreicht werde.
Ohne Akzeptanz scheitert die Energiewende
Damit ist auch ein wichtiger Posten bei der Einsparung von CO₂ hinfällig, warnt Lenck. „Für 65 Prozent Erneuerbare bis 2030 braucht man jedes Jahr mindestens fünf Gigawatt Zubau bei Windenergie an Land und sechs Gigawatt bei Fotovoltaik.“ Das sind insgesamt rund zwanzig Gigawatt mehr, als in Altmaiers Entwurf – und immerhin die Kapazität von fast 25 Braunkohleblöcken. Auch die Grünen im Bundestag fordern mit sechs Gigawatt pro Jahr bei Wind und zehn für Fotovoltaik weitaus höhere Ausbauziele.
Doch nicht nur über die nackten Zahlen gibt es Streit. Denn derzeit hakt es weniger bei den Zielen, als bei dem, was real zugebaut wird. So wurden in diesem Jahr bisher etwas über 0,8 Gigawatt Kapazität bei Windenergie zu Land installiert und auch 2019 kam nur ein Gigawatt hinzu. Der offizielle Zielwert liegt allerdings bei fast drei Gigawatt. Ziele sind also gut und schön, aber bleiben im Klimaschutz oft unerfüllt.
Besitzer von Eigenheimen im Nachteil
Nichts Gutes schwant auch den sogenannten „Prosumern“, den Eigenheimbesitzern, die eine eigene Solaranlage auf dem Dach haben. Für viele Anlagen läuft die Förderung 2021 nach 20 Jahren aus. Die neuen Regeln könnten viele Besitzer mehr kosten, als sie mit den Anlagen einnehmen.
Auch der aktuelle EEG-Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium schafft da keine Abhilfe: Die Anlagenbesitzer sollen ihren Strom voll ins Netz einspeisen und ihn dann über die Netzbetreiber wieder einkaufen. Wer das nicht will, muss sich einen Smartmeter – also einen intelligenten Stromzähler – zulegen. Der kostet allerdings bis zu 100 Euro pro Jahr plus Anschaffungskosten – und könnte kleine Anlagen unrentabel machen. Dagegen wollen Anlagenbetreiber und Ökostrom-Verbände mit einer Unterschriftenliste am Donnerstag vor dem Wirtschaftsministerium protestieren. Sie wollen eine kostengünstige Eigenversorgung mit Solarstrom.
Dass die „Prosumer“ wichtig sind, um die Energiewende für Bürger attraktiv zu machen und so mehr Akzeptanz schafft, sehen sogar Unionspolitiker so. Ein internes Papier des „Klimakreises“ der Unionsfraktion im Bundestag unter der Leitung der Bundestagsabgeordneten Anja Weisgerber (CSU) fordert, dass die Smartmeter für Kleinanlagen bezuschusst werden sollen. Allerdings sei das nur eine „Ideensammlung“, rudert Weisgerber auf Anfrage zurück. Sie sei mit dem Referentenentwurf zufrieden: Immerhin geben es nun „klare Perspektiven für Post-EEG-Anlagen“. Das sei ein wichtiger Schritt für die Energiewende.
Sich selbst ein Bein gestellt: Die 1000-Meter-Regel
Thorsten Lenck von Agora Energiewende sieht das Problem der Eigenversorger hingegen nicht gelöst: „Die Politik sollte dafür sorgen, dass abbezahlte Fotovoltaikanlagen weiterbetrieben werden können und nicht durch teure Stromzähler unwirtschaftlich werden“. Bei kleinen Fotovoltaikanlagen für den Eigenverbrauch – egal ob alt oder neu – sollten die Netzbetreiber den Stromverbrauch lieber pauschal abrechnen, anstatt jeden Haushalt einzeln zu betrachten. „Diese dezentralen Anlagen tragen viel dazu bei, dass Wind und Solar bei den Bürgern ankommt“, meint Lenck.
Um Akzeptanz geht es auch bei der Windkraft. Hier hat der neue EEG-Entwurf zwar Vorschläge gemacht, dass Windparkbetreiber einen kleinen Teil ihrer Erlöse direkt den Kommunen überweisen. Auch günstigere Stromtarife für Anwohner sollen helfen, dass weniger Bürger gegen die Windräder klagen.
Das gehe schon in die richtige Richtung, sagt Lenck. „Letztendlich braucht es aber ausreichend Flächen, auf denen Windräder rechtssicher gebaut werden können.“
Auch CSU-Klimapolitikerin Weisgerber verbucht die neuen Anreize bei Wind an Land als ersten Erfolg. Das Papier ihres Klimakreises geht jedoch noch weiter. Die derzeit geltende 1000-Meter-Abstandregel für Windkraftanlagen könne durch bürokratische Erleichterungen und Förderung von Bürgerenergiegenossenschaften auch unterschritten werden. Dass CSU-Politiker nun zum Unterlaufen einer Regel aufrufen, die ihre Partei selbst erfunden hat, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Pflicht für Solaranlagen beim Neubau?
Das Papier der CSU-Abgeordneten klingt auch bei der Solarenergie eher grün als schwarz: So fordern die konservativen Abgeordneten, dass bei Neubauten verpflichtend Solaranlagen installiert werden müssen. Dafür müsse es Förderprogramme geben. Das wollen auch Umweltverbände und Grüne. Davon ist im aktuellen Entwurf jedoch ebenfalls nichts zu lesen.
Dass die Gräben in der Klimapolitik nun aber nicht nur zwischen den Parteien, sondern auch durch die Fraktionen verlaufen, ist zumindest ein Indiz dafür, welchen Stellenwert das Thema mittlerweile hat. Den Klimakreis in der Union gibt es laut Anja Weisgerber seit 2017. Mitglied sind mittlerweile rund 60 Abgeordnete – immerhin fast ein Viertel der Fraktion. Ob sie sich durchsetzten können, ist unklar. Am 23. September will das Kabinett über die EEG-Novelle abstimmen.