(Spiegel Online 11/12/2019)Mit einem „European Green Deal“ will Kommissionschefin Ursula von der Leyen die EU bis 2050 klimaneutral machen. Experten loben den ambitionierten Plan – warnen aber, dass er abgeschwächt werden könnte. Der Überblick.

Als US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den Dreißigerjahren seinen New Deal durchsetzte, half er den USA damit aus einer der größten Wirtschaftskrisen des Landes heraus. Heute, bald hundert Jahre später, sieht sich Europa und die Welt mit der Klimakrise einer größeren und weitaus komplexeren Herausforderung gegenüber: Trotz des mühsam erkämpften Paris-Abkommens 2015 erwärmt sich die Welt immer schneller, die Treibhausgasemissionen sinken nicht, sondern steigen und die internationale Politik hat bisher kein Gegenmittel gefunden.

Es liegt nahe, dass sich Ursula von der Leyen, neue Kommissionschefin der EU, bei ihrem ersten großen Projekt an den erfolgreichen Krisenmanager Roosevelt lehnt: „European Green Deal“ heißt ihr Angebot an Europa, mit dem sie die Klimakrise beherrschbar halten will. Wie das gehen soll erklärt die CDU-Politikern am Mittwochnachmittag in Brüssel.

Der Plan soll die europäischen Volkswirtschaften in den kommenden 30 Jahren umkrempeln und unabhängig von fossilen Brennstoffen machen. Bis 2050 sollen alle Mitgliedstaaten der Union klimaneutral wirtschaften, also netto keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre ausstoßen. (Mehr über die Betrugsgefahr bei den dann nötigen CO2-Kompensationen lesen Sie hier.) Laut EU-Kommission sind jährlich 260 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen nötig.

Um das Ziel bis zur Mitte des Jahrhunderts auch zu erreichen, sieht der Plan Zwischenschritte vor. Die EU will ihr Klimaziel für 2030 von bislang minus 40 Prozent bei den CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 auf minus 50 bis 55 Prozent verschärfen. Das EU-Parlament hatte das bereits vor einem Jahr gefordert. Die EU-Kommission als einzige europäische Initiativgewalt kann aber das Klimaziel nun mit Maßnahmen und Geld unterfüttern – ein besonders entscheidender Punkt in von der Leyens Vorhaben.

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Die wichtigsten weiteren Vorschläge aus dem „Green Deal“:

  • Um das neue EU-Klimaziel für 2030 zu erfüllen, sollen die Mitgliedstaaten bis 2023 ihre Klimapläne aktualisieren. Das Gesetz dazu will die Kommission bis Juni 2021 erarbeiten.
  • Einführung einer „Just Transition Strategie“, mit der besonders betroffene Länder bei der Umstellung auf eine emissionsfreie Wirtschaft unterstützt werden sollen. Das ist etwa vergleichbar mit den vereinbarten Finanzhilfen für die ostdeutschen Bundesländer im Rahmen des Kohleausstiegs. Gedacht ist die Maßnahme vor allem für Länder in Osteuropa, die noch stark von fossilen Energien wie Kohle abhängig sind. Budget: 100 Milliarden Euro. Darunter fallen auch Gelder aus dem Fonds für regionale Entwicklung und dem Sozialfonds, Kreditgarantien und geplante Co-Finanzierungen aus den Mitgliedstaaten.
  • Bis Juni 2020 sollen erste Gesetzesinitiativen vorliegen, die den „Green Deal“ zum Leben erwecken. Dazu zählen nach den Wünschen der Kommission Pläne für eine höhere Bepreisung von fossilen Energieträgern wie Diesel oder Benzin und neue, schärfere CO2-Grenzwerte für leichte Nutzfahrzeuge.
  • Die Kommission will erstmals den Schiffsverkehr in den Emissionshandel einbeziehen, bisher gibt es den Handel mit CO2-Rechten in den EU-Ländern nur für bestimmte Industrien, fossile Kraftwerke und für den Flugverkehr.
  • Der Flugverkehr innerhalb der EU soll für den Klimaschutz stärker in die Pflicht genommen werden: Um das zu erreichen, will die Kommission künftig weniger kostenfreie CO2-Rechte ausgeben, was dazu führen dürfte, dass die Ticketpreise steigen. Wesentlich klimafreundlichere Reisen mit der Bahn könnten dann konkurrenzfähiger werden.
  • Im Rahmen einer Reform der Agrarpolitik sollen ab Frühjahr 2020 neue Ziele für chemische Pestizide, den Düngemitteleinsatz und die ökologische Landwirtschaft beschlossen werden.

Das Papier erhält zudem zahlreiche Einzelmaßnahmen wie den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos, die Förderung von alternativen Kraftstoffen oder einen Plan für eine Kreislaufwirtschaft und mehr Recycling.

Mit dem „European Green Deal“ legt die Kommissionschefin jedoch noch kein in allen Details definiertes Maßnahmenpaket vor, sondern zeichnet nur die Route für die künftige EU-Klimapolitik vor. Auch wenn vieles noch unklar sei, stimme die Richtung, sagen Experten: „Das ist ein wirklich großer Wurf“, kommentiert Ingeborg Niestroy, EU-Expertin am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS). „Im Gegensatz zum Klimapaket der Bundesregierung ist der ‚Green Deal‘ wirklich ambitioniert.“ Einzig der Ausgleich sozialer Härten käme in den bisherigen Vorschlägen zu kurz. Allerdings dürfe man die Erwartungen an das Vorhaben nicht zu hoch hängen: „Jetzt sehen wir nur die Vorschläge der Kommission, jedoch auch das Parlament und die Mitgliedstaaten mitzunehmen und zu überzeugen, wird kein Kinderspiel“.

Die große Frage ist: Ziehen die Mitgliedstaaten mit?

Die Einschätzung wird auch von anderen Europaexperten geteilt. Die Vorschläge der EU-Kommission seien nur ein erster Schritt. „Es kommt jetzt darauf an, ob die 28 Mitgliedstaaten mitziehen“, meint Klaus Jacob, Wissenschaftler am Forschungszentrum für Umweltpolitik an der Freien Universität zu Berlin. Nicht nur im Europaparlament und im EU-Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs entscheiden, stünden Diskussionen an, sondern auch in den Staaten selbst: „In der Landwirtschaft gibt die EU-Kommission beispielsweise die Verantwortung weitgehend an die Länder ab und hat deshalb wenig Kontrolle, wie der ‚Green Deal‘ wirklich umgesetzt wird.“

Ist die Agrarlobby in den Mitgliedstaaten entsprechen stark, könnten trotz der guten Ansätze aus Brüssel vor Ort nur lasche Verordnungen beschlossen werden. „Wenn die Verteilung der Gelder nicht an ökologische Kriterien gebunden ist, vergeben die Länder ihre Gelder eher nach kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen und nicht danach, ob es dem Klimaschutz dient“, so Jacob.

Die Ideen des „European Green Deal“ kommen sogar bei den sonst kritischen Umweltverbänden gut an: „Der Vorschlag könnte ein Wendepunkt im globalen Kampf gegen den Klimawandel sein“, lobt William Todts, Chef des Brüsseler Umwelt-Thinktanks Transport & Environment. Die Kommission wolle erstmals Umweltschutz, den Kampf gegen Luftverschmutzung und höhere Klimaziele zusammen angehen. Das seien „gute Nachrichten“.

Allerdings bleiben auch die Umweltschützer vorsichtig: „Einige Punkte des Pakets sind ehrgeizig, haben aber kaum eine Chance“, sagt Todts. „Bei den Energiesteuern auf Diesel für Lastkraftwagen oder einer Kerosinsteuer herrscht das Prinzip der Einstimmigkeit im EU-Rat – Länder wie Malta, Zypern oder Luxemburg werden hier wahrscheinlich nie mitmachen.“

Europas Klimaschutzinitiative betrifft auch andere Staaten

Das Paket dürfte auch deshalb für Diskussionen sorgen, weil es nicht nur die Umweltressorts betrifft, sondern auch die Auswirkungen auf die gesamte Volkwirtschaft berücksichtigt. Beispiel Handel: Steigen die Preise für Emissionsrechte in der EU aufgrund der ambitionierteren Klimaschutzgesetzgebung weiter an, könnten manche energieintensive Produkte auf dem Weltmarkt nicht mehr mit der Konkurrenz mithalten. Dafür schlägt die Kommission nun einen „Grenzausgleichsmechanismus“ vor, der beispielsweise die Stahl, Zement- und Aluminium-Industrie vor Abwanderung schützen soll. Laut Kommission ist aber noch nicht klar, ob dieser über eine Steuer, Zoll oder den Einbezug von Importen in den Emissionshandel umgesetzt werden soll.

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Die EU steht vergleichsweise gut da: Sie hat ihre eigenen Klimaziele sogar übertroffen und ihre CO2-Emissionen seit 1990 um rund 23 Prozent gesenkt. Dass die Union beim Klimaschutz dennoch dringend etwas tun muss, zeigt der kürzlich veröffentlichte Bericht der EU-Umweltagentur zum „Zustand der Umwelt“. Wenn sich die Mitgliedstaaten nicht sehr viel mehr anstrengen, CO2 einzusparen, könnte das Klimaziel 2050 deutlich verfehlt werden, warnt der Bericht. Trotz der bisher eingeleiteten Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz habe es in den vergangenen Jahren keine Trendwende ergeben.