(Der SPIEGEL 12/12/2020) Verzweifelten Außenministern, mutigen Wissenschaftlern und geschickten Diplomaten gelang vor einem halben Jahrzehnt das Unmögliche: 195 Länder verpflichteten sich zur Rettung des Planeten. Ist die Welt auf Kurs?

Einen Tag nachdem sich in Paris fast 200 Staaten auf einen gemeinsamen Uno-Klimavertrag geeinigt hatten, zeigte die Messstation am pazifischen Vulkan Mauna Loa auf Hawaii eine CO2-Konzentration von 402 ppm (parts per million, Teile pro Million) in der Atmosphäre an. Es war der 13. Dezember 2015. Das Jahr schloss mit einem neuen Rekord: Erstmals stabilisierten sich die Messwerte über der Marke 400.

Seitdem ist es trendy, Geburtstage oder Jubiläen mit einem Hinweis auf den historischen ppm-Stand anzugeben (die Autorin ist 1980 geboren bei 337 ppm). Die Anzahl der CO2-Teilchen in der Atmosphäre ist die neue Zeitrechnung für Klimanerds: Sie zeigt an, wie stark wir den Deponieraum Atmosphäre schon vollgemüllt und den Klimawandel angeheizt haben.

Die Schwelle von 400 ppm haben wir fünf Jahre später hinter uns gelassen. Seit dem berühmten Satz des französischen Außenministers Laurent Fabius am frühen Abend des 12. Dezember: »L’accord de Paris pour le climat est accepté« (»Der Klimavertrag von Paris ist angenommen«) sind die Werte in Hawaii auf 413 ppm gestiegen. Klimaforscher warnen, dass es ab 450 ppm richtig ungemütlich wird: Spätestens dann könnte die Welt das Zwei-Grad-Ziel reißen – also die globale Durchschnittstemperatur zwei Grad über das vorindustrielle Niveau steigen. Damit werden Extremwetter und ökologische Kettenreaktionen wahrscheinlicher, die niemand mehr kontrollieren kann.

Das wussten auch die Staaten, als sie sich vor fünf Jahren im Pariser Vorort Le Bourget trafen und zwei Wochen über den ersten Weltklimavertrag berieten. Die Gespräche waren kompliziert: Erstmals sollte der Vertrag für alle Länder der Erde gelten – für die mächtigen USA ebenso wie für die pazifischen Marshallinseln. An seinem Vorgänger, dem 1997 beschlossenen Kyoto-Protokoll, waren nur Industriestaaten beteiligt, die nach und nach ausstiegen. Die größten Verschmutzer USA, China und Indien unterschrieben Kyoto nie. Paris sollte es nun besser machen.

»Die wichtigste Reise meines Lebens«

Die Konferenz in Frankreich war im Gegensatz zu Kyoto ein Event der Superlative: Zehntausende Teilnehmerinnen waren mit großen Erwartungen angereist – trotz der Terroranschläge in der französischen Hauptstadt mit 137 Toten – und das nur wenige Wochen vor Konferenzbeginn.

Der Außenminister der Marschallinseln, Tony de Brum, erklärte damals: »Diese Klimakonferenz ist die wichtigste Reise meines Lebens.« Weil die Heimat des damals 70-Jährigen vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht ist, machte de Brum eine Einigung von Paris zu seiner Lebensaufgabe. Die Verzweiflung war dem alten Mann mit dem schlohweißen Haar und den sanften Augen anzumerken: Er redete nicht im glatten Politsprech, sondern wie ein Mann mit einem persönlichen Anliegen.

Kurz vor der Abreise sagte Tony de Brum noch, er habe es nun geschafft und wolle sich aus der Politik zurückziehen. Er habe vor, den Rest seines Lebens am Strand zu sitzen und zu angeln. Das tat er auch und verstarb zwei Jahre später. Das von ihm verhandelte 1,5-Grad-Ziel ist zwar immer noch im Pariser Vertrag, aber mittlerweile halten es selbst Klimaforscher für unwahrscheinlich, dass es noch zu schaffen ist.
»Paris war der archimedische Punkt, weil mit dem Vertrag eine neue Logik entstand: Die Staaten gingen nicht mehr davon aus, was sie erreichen, sondern was sie unbedingt verhindern wollen – nämlich eine Welt jenseits von zwei Grad«, sagt der Klimaforscher und ehemalige Berater von Bundeskanzlerin Merkel, Hans-Joachim Schellnhuber, im Gespräch mit dem SPIEGEL.
Nicht zuletzt kommt es auf die Wählerinnen und Wähler an: Je mehr Polterer wie Trump und Bolsonaro ins Amt kommen, desto schwieriger wird es in der Klimapolitik. Einige autoritär regierte Länder wie Saudi-Arabien oder Russland lassen sich ohnehin wenig von der Weltgemeinschaft sagen. Sie kann man nur überzeugen, wenn CO₂ zu einer echten Loser-Währung wird.