(Klimafakten/K3 Kongress) Harald Welzer erklärt, wie man die dominierenden Erzählungen des 20. Jahrhunderts entlarvt – und sie mit positiven Lebensmodellen kontrastiert
Nur wer sich aus seiner eigenen Blase hinauswagt, kann bessere Klimakommunikation lernen. Mit dieser Lektion begann der zweite K3-Kongresstag in Karlsruhe. Mit einer Story aus der Bild provozierte der Keynote-Speaker Harald Welzer die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus vornehmlich akademischen und umweltbewegten Kreisen. Dort schildet ein Redakteur des Boulevardblatts seine „total verrückte Reise um die Welt“ – mit dem Flugzeug in 124 Stunden für nur knapp 2000 Euro. Natürlich löste das Kopfschütteln aus im Audimax des Karlsruher KIT. Und noch eine Irritation hatte der Soziologe und Sozialpsychologe von der Universität Flensburg im Gepäck: „Die neuesten Trends zum Yachtbau“ aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Welzer entführte das Publikum damit „mal in eine Welt, in der viele von ihnen wahrscheinlich sonst nicht unterwegs sind“.
Sein Ziel: Über den eigenen Tellerrand schauen. Mal lesen, was man als Klimaschutz-Überzeugter sonst eher überblättert. Welzers Moral von der Geschicht‘: „Diese Artikel werden gelesen und weitererzählt“, und zwar massenhaft. „Und diese Erzählungen stehen in Konkurrenz zu allen, die Veränderung wollen.“ Die Yacht sei der Statuskonsum für die Reichen, Billigflug und Kreuzfahren der Massenkonsum für den Rest der Gesellschaft. Doch Menschen, so der Sozialpsychologe, definierten sich über solche sozialen Codes: Fernreisen, Anschaffungen, Landhausküchen – mit all dies sind die Medien randvoll. Sie schaffen eine Art Dauererzählung von Weltreichweite und Konsum, die Menschen dann natürlich nachahmen wollten. Insgesamt werde die Welt vorgestellt als „eine große Gelegenheit zum Verbrauch“, wie es Welzer ausdrückt. Wer tatsächlich etwas verändern will in der Gesellschaft, wer tatsächlich eine Wende zu klimaschonendem Leben schaffen will – der müsse diesen dominanten Konsum-Narrativen etwas entgegenhalten.
Ein Gegenbild: „Kreuzfahrtschiffe sind fahrende Plattenbauten“
Zum Beispiel mit einer Umerzählung: „Kreuzfahrtschiffe sind fahrende Plattenbauten, in denen man zusammengepfercht mit 8000 Leute Richtung Nordpol schippert“, so Welzer. „Mit all den dramatischen ökologischen Folgen ist das nichts anders als eskapistischer Megazerstörungstourismus.“
Dennoch gibt es einen Widerspruch, der Studien zufolge immer größer wird: Dieselben Menschen, die sich eine Kreuzfahrt leisten oder einen SUV kaufen, sind zugleich besorgt um den Zustand unseres Planeten. Das zeige beispielsweise die Umweltbewusstseinsstudie 2019, herausgegeben vom Umweltbundesamt. Es ist paradox: Der Weltverbrauch an Ressourcen geht hoch, die Besorgtheit der Bürger auch. Welzer erklärt die gegenläufige Entwicklung: „Wissen ist vollkommen überbewertet“, sagt er. „Menschen handeln meist auf der Grundlage von persönlichen Beziehungen“, so Welzer – wichtiger als das, was wohlbegründete wissenschaftliche Erkenntnisse ist das, was das soziale Umfeld denkt. Viele Lebensstile und Konsumentscheidungen seien in unserer Alltagskultur „voreingestellt“, viele Sachen „eingelebt“. Welzer bringt es mit dem Bonmot auf den Punkt: „‚Eigentlich‘ ist das Wort unserer Epoche.“ Eigentlich wissen wir vieles – wir handeln nur nicht danach…
Harald Welzer fordert weniger Dystopie – und mehr Utopie
Das gelte übrigens auch für die Umweltbewegung. Was 1972 im Gründungsmanifest „Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome mal angelegt war – nämlich dass eine Änderung der Produktions- und Lebensweise nötig ist –, habe sich längst in eine grüne Lebenslüge verkehrt, kritisiert der Soziologe, der zugleich Mitgründer der Stiftung FuturZwei ist. „Die Ökobewegung hat sich mehr und mehr angeschmiegt an die Wachstumsdoktrin und der Idee, dass wir das innerhalb der Verhältnisse hinkriegen.“
Auch fehlten Ideen für eine Zukunft. Es brauche nicht Dystopien, sondern Utopien, positive Beispiele, Ideen, Szenarien. Es dürfe beim Werben für Klimaschutz nicht um Belastung gehen – sondern um die Freude, die Welt des 21. Jahrhunderts neu zu erfinden. Als Beispiel nannte Welzer die Vision einer „autofreien Stadt“: Um sie gutzufinden, brauche es gar keine negative Begründung oder gar die Bedrohung des Klimawandel. Man solle stattdessen über das reden, was eine autofreie Stadt auch bringt: weniger Verschmutzung, weniger Unfalltote und mehr Platz. So gehe positive Klimakommunikation.
In seinem aktuellen Buch Alles könnte anders sein hat Welzer genau das versucht: Beispiele aus der Geschichte auszuwählen, die gut funktioniert haben – und diese zu verbinden mit einem neuen Denken, das die Geister eines sinnentleerten Konsum abschüttelt. Eine häufig gestellte Frage, beantwortete der Referent auch noch: Muss man dazu erst den Kapitalismus abschaffen, Herr Welzer? Nein, das seien Geisterdiskussionen. Es gehe um einen Pfadwechsel. Oder kurz: Endlich anzufangen, Zukunft zu denken.