(Der SPIEGEL, 11/9/2020) „Wir haben viele Menschen beim Klimaschutz enttäuscht“, erklärt der Wirtschaftsminister und will mit einem 20-Punkte-Plan die Erderwärmung zur Chefsache machen. Was ist von Altmaiers Sinneswandel zu halten?
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier galt lange als Bremser in der Klimapolitik. In seinen Ministerämtern, darunter auch als Umweltminister, waren andere Themen stets wichtiger und der Klimaschutz oft nur ein Kostenfaktor und Wohlstandskiller.
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Zweifel am Erreichen der Klimaziele
Bereits in der Sommerpause räumte der Minister erstmals Fehler ein. Ein zweites Mea culpa folgte am Freitagmittag bei einem Termin in Berlin, bei dem Altmaier einen 20-Punkte-Plan für Klimaschutz und Wirtschaftskraft vorstellte: „20 Jahre lang hatten wir immer drängendere Probleme wie die Wiedervereinigung, 9/11 oder Bankenkrisen – jetzt ist die Zeit, den Klimaschutz vor die Klammer zu ziehen.“
Damit Klimaschutz zur Chefsache wird, hat der Wirtschaftsminister nun im Alleingang einen „historischen Kompromiss zwischen Klimaschutz und Wirtschaft“ vorgeschlagen. „Ich will den jungen Menschen Garantien geben, dass wir die Klimaneutralität bis 2050 auch wirklich schaffen“, erklärte Altmaier.
Unter den 20 Punkten des Klimaplans sind tatsächlich einige Neuheiten:
- Alle Parteien in Bundestag und Bundesrat sollen eine „Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft“ verabschieden, in der jährliche Minderungsziele von 2022 bis 2050 festgelegt werden sollen. Wenn die Klimaziele verfehlt werden, wäre das sofort ein Politikum und nicht erst 2030 oder 2050. So könnte die Politik schneller nachsteuern.
- Altmaier will zudem bis 2050 für jedes Jahr einen bestimmten Anteil des Bruttoinlandsprodukts für den Klimaschutz festlegen. Damit würde der Klimaschutz zu einem festen Haushaltsposten, so wie etwa der Rüstungshaushalt. Wie hoch die Ausgaben sein sollen, ist unklar. Ziel aber ist, die nötigen Investitionen möglichst stabil einzupreisen.
- Öffentliche Einrichtungen, wie Schulen oder Ministerien, sollen schon bis 2035 klimaneutral werden und beispielsweise Strom und Wärme aus erneuerbaren Energien beziehen. Damit gäbe es erstmals ein bundesweites Ziel. Angesichts des Investitionsstaus bei Schulen, Kulturstätten und Schwimmbädern ist aber fraglich, ob Länder und Kommunen am Ende auch das nötige Geld haben für die Sanierungen.
- Ein weiterer Vorschlag ist eine Messung von Klimafortschritten bei Behörden, Unternehmen und Organisationen, die öffentlich einsehbar ist. Damit sollen die Bürger verfolgen, wer die Klimavorreiter sind und welche Akteure noch hinterherhinken. Auf Uno-Ebene gibt es bereits Versuche, die Klimaanstrengungen von Unternehmen zu bewerten und deren Klimaziele transparent zu machen. Bisher ist das Register jedoch freiwillig.
- Unternehmen sollen stärker unterstützt werden, wenn sie sich zu einer schnelleren Reduktion ihrer Emissionen verpflichten. Das kann sinnvoll sein, um gerade CO2-intensiven Branchen den Anstoß zum Umdenken zu geben.
Der Plan liest sich auf den ersten Blick ambitioniert, ändert aber bei genauerem Hinsehen kaum etwas an den Fakten, die von der Bundesregierung längst geschaffen wurden: In ihrem Klimapaket von 2019 sind bereits alle Weichen für die Klimaziele 2030 gestellt.
Der Plan von Altmaier kommt also reichlich spät oder er hat wenig Effekt für die deutschen Klimaziele – oder beides. Denn ändern will der Wirtschaftsminister an dem Status quo der Gesetze nichts mehr, erklärte er. An dem als viel zu niedrig kritisierten CO2-Preis von 25 Euro pro Tonne ab 2021 für Sprit, Heizöl oder Gas will der Minister auch nicht rütteln, Klimacharta hin oder her. Dabei ist das der einzig effiziente Hebel, im Klimaschutz schneller voranzukommen.
Die weiteren Punkte des Altmaier-Plans fallen bestenfalls in die Kategorie gut gemeinte Vorschläge. Da ist noch von einem „Haus der Energiewende“ die Rede, während in Deutschland seit Monaten der Ausbau von Erneuerbaren am Boden liegt. Dann soll eine internationale Agentur „Climate global“ eingeführt werden, eine Art PR-Agentur für Klimaschutzerfolge. Und das, wo Deutschland nur knapp am Verfehlen seine Klimaziele vorbeigerauscht ist. Dann gibt es natürlich noch einen neuen Klimarat im Wirtschaftsministerium und eine Klima-Universität.
Rad mal anders – McDonald’s BIKE-IN
Der erste McDrive für Radfahrer. Mit der McDonald’s App kontaktlos bestellen und bezahlen, in die Bike-In-Zone der drei teilnehmenden McDonald’s Restaurants radeln und das Essen kommt direkt ans Rad.
Das ist alles nicht falsch, aber es wirkt fast zynisch angesichts des nach Expertenmeinung ambitionslosen Klimapakets der Regierung, der Altmaier angehört. Die Klimawirkung der Vorhaben sind so gering, dass auch die 2030er-Ziele verfehlt werden.
Der einzige Druck auf die umstrittene Klimapolitik der Bundesregierung kommt derzeit nicht von Herrn Altmaier, sondern von der EU – wo die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen seit Monaten unbeirrt an ihrem Green Deal und der Klimaneutralität für 2050 werkelt.
Die Bundesregierung wolle nachsteuern, wenn die EU-Klimaziele angehoben würden, heißt es von Peter Altmaier. „Wir werden den europäischen Emissionshandel und nationale CO2-Bepreisung entsprechend den EU-Beschlüssen anpassen müssen.“ Altmaier verbucht das ebenfalls als Teil seiner neuen Klimakampagne: „Ich hätte diesen Vorstoß nicht gemacht, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass wir einen Paradigmenwechsel brauchen.“
Vorangegangen sind in dieser Woche aber andere: Der Umweltausschuss des Europäischen Parlamentes votierte für eine Anhebung des EU-Klimaziels auf 60 Prozent. Bisher sind es 40 Prozent, derzeit sind 50 bis maximal 55 Prozent gegenüber 1990 im Gespräch. Nächste Woche will die Kommissionspräsidentin die Erhöhung der Klimaziele bekannt geben – erwartet werden mindestens 55 Prozent.
Im Umweltausschuss hingegen versuchten Altmaiers Parteikollegen von der CDU, eine Aufstockung zu verhindern. „Die CDU mobilisiert im Europaparlament gegen eine fortschrittliche Klimapolitik und stimmt zusammen mit Rechtsextremen und Klimaleugnern gegen die Klimaziele, die selbst von der konservativen Kommissionspräsidentin favorisiert werden“, kommentiert Michael Bloss, grüner Europaabgeordneter das Abstimmungsergebnis.
Doch nicht nur Grüne und Fridays for Future, sondern auch die Industrie drängt immer mehr auf eine verlässliche Klimapolitik. Das spürt auch der Wirtschaftsminister. Als er vor einem Monat den Stahlgiganten Thyssenkrupp in Duisburg besuchte, ging es nur um eins: Wie die Politik der Industrie beim Klimaschutz helfen kann.
Nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des Plans trägt auch bei, dass Altmaier diesen anscheinend im kompletten Alleingang und ohne Absprache mit seinen Kabinettskollegen oder der Kanzlerin in den Ring wirft. Vor allem die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) dürfte darüber nicht sehr erfreut sein. Sie könne ja auch Vorschläge machen, stichelte der Wirtschaftsminister.
Das riecht schon sehr nach Wahlkampf. Dementsprechend hämisch waren auch die Kommentare auf den angeblich „parteiübergreifenden Entwurf“: „zu schwach“ findet die Linksfraktion, die Grünen sehen gar ein „Ablenkungsmanöver“