Der Ursprung deutscher Klimapolitik liegt weder bei den Grünen noch bei einer Jugendbewegung. Der Klimaschutz wurde nicht immer als links-grünes Thema wahrgenommen. Und dass Angela Merkel bereits ein Jahrzehnt vor der Geburt vieler Fridays-for-Future-Kinder für die Bekämpfung der Klimakrise eintrat, auch das ist Teil dieser Geschichte.
Das Thema Klimawandel stand da schon längst auf der Agenda: Bereits seit 1987 tagten Enquetekommissionen des Bundestags zum »Schutz der Erdatmosphäre«, wie es damals noch hieß. Stoppe man den Klimawandel nicht, könnte das »gravierende Folgen für die menschlichen Lebensbedingungen« haben, die nur durch »Vorsorgemaßnahmen« verhindert werden könnten, so der Tenor der Berichte von 1988 und 1992. »Dramatische Entwicklungen« könnten »nicht ausgeschlossen werden«.
Auch die Umweltministerin Angela Merkel hörte sich in den Neunzigerjahren so an wie heute Greta Thunberg: »Wie viel ist der Schutz der Umwelt uns tatsächlich wert? Welchen Preis sind wir bereit für unser Überleben zu zahlen? Dieser Diskussion dürfen gerade wir Umweltpolitiker nicht ausweichen«, schrieb Merkel in ihrem 1997 erschienenen Buch »Der Preis des Überlebens«.
Zwei Jahre zuvor hatte sie in Berlin die erste Uno-Weltklimakonferenz eröffnet. Erstmals kamen mehr als 160 Staaten zusammen, um nach Lösungen im Klimaschutz zu suchen. Und Angela Merkel mit ihrem diplomatischen Geschick mittendrin. Gemeinsam mit dem Klimaforscher Hartmut Graßl schrieb sie, dass »überzeugendes nationales Handeln« die Basis sei, um in den internationalen Verhandlungen gegenüber anderen Ländern »für die internationale Begrenzung und Verminderung von Treibhausgasemissionen erfolgreich eintreten zu können«. Deutschland als Zugpferd der internationalen Klimapolitik. Alles sah nach Aufbruch aus.
Doch in den folgenden Jahren entwickelte sich aus diesem Pioniergeist nicht der Schwung für eine engagierte Klima-Agenda. Ein Grund dafür war auch die Politik von Angela Merkel – und ihre pragmatische Konfliktstrategie: aussitzen und Konsens suchen. Klimaschutz wurde zum politischen Problemfall, den die Ministerien hin- und herschoben.
Zehn Jahre nach dem Klimagipfel wurde Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt, und in den folgenden Jahren wurde klar, dass sie bei dem weiterhin virulenten Thema keine eindeutige Position bezog: Auf Klimakonferenzen beschwor sie die schnelle Reduktion von Treibhausgasen, im eigenen Land warb sie für die Kohlekraft – die klimaschädlichste Energieform. Bei der Grundsteinlegung des Kohlekraftwerks Hamm erklärte sie 2008: »Wenn wir als Industriestandort unsere Eigenversorgung mit Strom erhalten wollen, dann brauchen wir neue, leistungsfähige Kraftwerke in Deutschland. Dazu gehören effiziente, moderne Kohlekraftwerke.«
Zwar stieg auch der Anteil der erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne in Merkels Amtszeit – aber es wurde lange Zeit nicht am Verbrennungsmotor, an Dieselsubventionen, Ölheizungen, an der Kohleverstromung oder der Steuerbefreiung von Kerosin für Billigflüge gerüttelt. Die Merkel-Ära brachte ein bigottes Parallelsystem hervor: die Erneuerbaren fördern, ohne die Privilegien der fossilen Energien aufzugeben. Auch der Zubau von fossiler Infrastruktur wie Kohlekraftwerken, Autobahnen und Massentierhaltungsställen gehörte weiterhin zur erwünschten Wirtschaftspolitik.
Merkel setzte beim Klimaschutz auf Anreizprogramme, unwirksame Marktmechanismen, Förderung – ging aber die eigentlichen Konflikte zwischen altem und neuem Wirtschaftssystem nie an. Das führte zu einem Schneckentempo beim Umbau der Gesellschaft.
Erst zum Ende ihrer Amtszeit wurde es noch mal ernst. Den Auftakt machte das 2015 beschlossene Pariser Klimaabkommen – erstmals mit allen Staaten der Welt, die zustimmten, die globale Erwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten. In Deutschland kam es dann unter Angela Merkel doch noch zu einem Kohleausstieg. Dieses klarste Signal ihrer ganzen Amtszeit für das Ende des fossilen Zeitalters war jedoch wieder mit einer Einschränkung verbunden: Der Ausstieg soll extrem spät erfolgen – nämlich 2038, nur sieben Jahre bevor Deutschland die Klimaneutralität schaffen will.
Auch die Jugendbewegung Fridays for Future und ein wachsendes gesellschaftliches Klimabewusstsein erhöhten zuletzt den Druck auf die Kanzlerin. Die lobte die demonstrierenden Schüler, spornte sie sogar an. Um dann aber zur Enttäuschung aller 2019 ein halb gares Klimapaket zu präsentieren. Anderthalb Jahre später entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die geplanten Anstrengungen für den Übergang in ein klimaneutrales Zeitalter nicht ausreichten. Merkel und ihre Minister mussten nachbessern.
War Merkel also ein Opfer ihrer sturen Ministerinnen und der starken fossilen Lobby, die den Klimaschutz jahrelang kleinhielten? Oder nahm sie die Klimakrise selbst nicht ernst genug? Menschen, die lange mit ihr zusammenarbeiteten, beantworten diese Fragen außerhalb jedes Protokolls erstaunlich übereinstimmend: Merkel sei der Klimaschutz immer wichtig gewesen. Als Physikerin habe sie genau verstanden, was der Menschheit drohe. Deshalb habe sie eingesetzt, was sie am besten könne: ihre Diplomatie, beispielsweise bei internationalen Klimaverhandlungen. Gab es Reibungen, habe sie nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht, geduldig vermittelnd zwischen allen Streithähnen. Sie habe immer auf den Druck von außen gehofft, der ihr den Spielraum für Verhandlungen gebe – eben eine Konsens-Queen. Das hat sie 16 Jahre im Amt gehalten, aber zu einer schwachen Klimapolitik geführt.