(28/5/2020 Der SPIEGEL) Die EU-Kommission will ihren „Green Deal“ für einen ökologischen Wandel in Europa in der Coronakrise nicht abschwächen. Doch die in Brüssel vorgestellten Pläne wirken grüner als sie sind.
Die Bestnote in Eigenwerbung als Klimaschutzvorreiter, so viel wird am Donnerstag in Brüssel schnell klar, gewinnt die EU heute schon mal nicht. Den Claim „Do No Significant Harm“ (richte keinen erheblichen Schaden an) hat die Kommission soeben zum neuen europäischen Leitmotiv für klimabezogene Zukunftsinvestitionen erklärt. Wirklich ambitioniert klingt das nicht, passt vielleicht aber besser zu dem präsentierten Vorhaben, als vielen lieb ist.
Seit Wochen sitzen die EU-Spitzen zusammen, um einen Wiederaufbauplan für Europa aufzulegen. Dabei geht es um die sinnvolle Verteilung von Milliardensummen. Dabei auf die Belange des Klimaschutzes zu achten, war die Aufgabe von Frans Timmermans, dem Klimakommissar unter EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.
Doch das ist dem Sozialdemokraten nur bedingt gelungen, urteilen Experten und Umweltschützer nach der Vorstellung der Pläne in Brüssel.
750 Milliarden Euro für den Wiederaufbau will die EU ausgeben. Verteilt werden soll das Geld über ein Programm namens „Next Generation EU“. Damit die Finanzmittel nicht unkontrolliert versickern, müssen die Länder ihre Pläne, wie sie das Geld ausgeben wollen, vorher von der EU abnicken lassen. So ist es möglich, Bedingungen zu stellen. Die EU-Kommission will, dass vor allem in Zukunftsbereiche wie Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung oder Gesundheit investiert wird.
„Das Geld darf auf keinen Fall in Technologien der Vergangenheit angelegt werden, sonst wäre es verloren“, erklärte Klimakommissar Timmermans heute in Brüssel. Deshalb wolle man die Vergabe der Gelder an das Prinzip „Do No Significant Harm“ koppeln.
Alle EU-Länder, die an die Gelder des Wiederaufbau-Fonds wollen, müssen dann den „Do No Significant Harm“-Test durchlaufen. So will die Kommission verhindern, dass fossile Brennstoffe und Kernkraft gefördert und Umweltschutz untergraben wird. Einzige Ausnahme sei Erdgas, so Timmermans. Dies betrachtet die EU-Kommission weiterhin als Brückentechnologie.
Außerdem sollen rund 25 Prozent des Fonds für Klimaschutz ausgegeben werden. Beispielsweise sind rund 20 Milliarden für saubere Mobilität eingeplant, darunter auch der Zubau von Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, sowie zehn Milliarden für die Recycling und Kreislaufwirtschaft und 50 Milliarden für eine nachhaltigere Landwirtschaft. Aber auch Technologien wie Wasserstoff, erneuerbare Energien und die energetische Sanierung von Gebäuden stehen laut Timmermans in dem Vorschlag, der noch nicht veröffentlicht wurde.
Milliarden für den Kohleausstieg
Die Europäische Kommission hat zudem den „Fonds für einen gerechten Übergang“ aufgestockt und die Zusagen von nur 7,5 Milliarden auf 40 Milliarden erhöht. Mit dem Geld sollen beispielsweise Regionen unterstützt werden, die bisher stark von der Kohleindustrie abhängig sind. Das ist genau genommen immer noch nicht sehr viel: Allein in Deutschland zahlt die Regierung den vom Braunkohleausstieg betroffenen Bundesländern bis 2038 insgesamt 40 Milliarden Euro.
Polen bekommt durch die Aufstockung statt zwei nun sogar acht Milliarden Euro Strukturhilfen – und das, obwohl das Land regelmäßig Klimaschutzvorhaben der Union blockiert. Erst im vergangenen Jahr handelte das Land für sich eine Sonderklausel für die weitere Subventionierung von Kohlekraftwerken aus. Der polnische Premierminister zeigt sich auf Twitter zufrieden, dass sein Land ausreichend berücksichtigt worden sei und lobte den Deal. Auch zusätzliche Mittel für Landwirtschaft, regionalen Zusammenhalt und den Fonds für gerechten Übergang seien „alles Schritte in die richtige Richtung“.
Genau das könnte jedoch der Haken an dem Wiederaufbauplan sein: Die Hilfen würden anders als behauptet ohne weitere Verpflichtungen vergeben, warnen Experten. Auch die „Do No Significant Harm“-Regel dürfte davor nicht schützen, glaubt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. „Vielleicht werden neue Kohlekraftwerke verhindert, aber bei allen anderen Vorhaben wäre ich mir da nicht so sicher.“ Das sei alles eine Frage der Interpretation.
„Der Vorschlag zeigt, dass der Green Deal nach wie vor eine Priorität der EU-Kommission ist, aber er zeigt auch, dass er nicht die einzige und auch nicht unbedingt die oberste ist“, so Geden. Auch, dass nur 25 Prozent der Gelder einem strengen Klimarelevanz-Kriterium unterliegen, sei zu wenig. „Das bedeutet ja auch, dass 75 Prozent nicht dem Klimarelevanz-Kriterium genügen müssen“, so Geden.
Positiv überrascht ist Geden dennoch, dass die Green Deal Agenda in der Coronakrise nicht unter die Räder geraten ist. Für besonders fortschrittlich hält der die Sanierungspläne für Häuser und die Förderung von Wasserstoff-Technologien.
Grüne Finanzpolitik
Die Kommission will die Milliardenausgaben mit neuen Abgaben und Steuern finanzieren. Konkret im Gespräch sind eine neue Steuer für Digitalkonzerne, aber auch eine Abgabe auf nicht recycelbares Plastik und eine sogenannte CO2-Grenzsteuer. Letztere könnte als Ausgleichsmechanismus gegen den Import billiger, klimaschädlicher Produkte aus dem Ausland dienen. Im Gespräch war im vergangenen Jahr auch ein „Grenzausgleichsmechanismus“, der beispielsweise die Stahl-, Zement- und Aluminium-Industrie vor Abwanderung schützen soll. Außerdem könnte die EU neue Einnahmen aus dem Emissionshandel bekommen, wenn dieser ausgeweitet werden sollte.
Einer Kerosinsteuer erteile Timmermans aber erstmal eine Absage. Die Idee sei nicht „easy going“ und erfordere viel Fingerspitzengefühl. Bisher profitiert die Luftfahrtbranche von der Steuerbefreiung, während alle anderen Kraftstoffe besteuert werden.
Außerdem will die EU eine nachhaltige „Finanztaxonomie“ einführen, die private Investitionen in nachhaltige Technologien lenken soll. Dieses Prinzip wurde bereits von der finnischen Präsidentschaft Ende des vergangenen Jahres angeschoben. Die EU-Taxonomie-Verordnung wird nun europaweit definieren, welche wirtschaftlichen Aktivitäten sich nachhaltig nennen dürfen. Anleger in der EU werden dadurch nachhaltige Investments leichter erkennen können, so die Idee.
Der größere Posten: EU-Haushalt
Besonders schwierig dürften die Verhandlungen werden, weil sich die EU-Staaten noch nicht einmal einig sind, wie der normale EU-Haushalt ab dem kommenden Jahr aussehen soll. Die Kommission legte auch zu diesem Thema am Mittwoch einen neuen Vorschlag vor. Er sieht für die Jahre 2021 bis Ende 2027 einen Finanzrahmen von 1,1 Billionen Euro vor. Hier sind die Klimaexperten noch skeptischer: Es fehle an Verbindlichkeit, kritisiert Klimaexperte Brick Medak vom Thinktank E3G. Beispielsweise muss sich der EU-Haushalt an die Regeln des „Do No Significant Harm“ nicht halten.
Auch beim Haushalt gilt: Mindestens 25 Prozent des langfristigen EU-Haushalts müssen für klimabezogene Projekte ausgegeben werden. Das halten Beobachter für zu wenig, wenn die EU ihre ambitionierten Klimaziele bis 2030 schaffen will.
Dennoch ist die EU für manche auch ein Vorbild: Der Dachverband der deutschen Umweltverbände, der Deutschen Naturschutzring (DNR) begrüßt den Vorstoß. Die auf EU-Ebene diskutierten Kriterien seien fortschrittlich. Mit ihrem Vorschlag habe die EU-Kommission klargemacht, dass sie den Green Deal und das erhöhte Klimaziel als „feste Leitplanken“ für die Vergabe von Steuermilliarden sehe. Das erhoffen sich die Umweltschützer auch von der deutschen Regierung. Sie fordern „ein klares Regelwerk“ für die Vergabe staatlicher Konjunkturhilfen.
Über das geplante deutsche Wiederaufbauprogramm wollen Union und SPD am Dienstag im Koalitionsausschuss beraten.
Der Originalbeitrag auf SPIEGEL.de