(6/12/2019, Spiegel Online) CO2 ist die neue Währung im Klimaschutz-Zeitalter. Wer clever Treibhausgase aus der Atmosphäre zieht, könnte demnächst viel Geld verdienen. Doch die Betrugsgefahr ist riesig.
Nahezu immer, wenn Klimaschutz konkret wird, ist Streit die Folge. Kohleausstieg, Verbot des Verbrennungsmotors, mehr Windräder: Jeder Schritt in die richtige Richtung provoziert Opposition. Der Schutz des Waldes ist eine seltene Ausnahme – der Wunsch, ihn zu schützen, überbrückt die bisweilen tiefen Gräben im CO2-Streit. Der Baum als kleinster gemeinsamer Nenner beim Klimaschutz. Aus diesem Umstand haben Unternehmen in Zeiten der immer dringenderen Warnungen für mehr Klimaschutz ein Geschäftsmodell gemacht.
Vor allem in Entwicklungsländern entstanden in den vergangenen Jahren viele sogenannte Waldprojekte, die helfen sollen, das in europäischen Ländern freigesetzte CO2 effektiv – und ohne kontroverse Maßnahmen im eigenen Land – auszugleichen. Das jedenfalls ist das Versprechen.
Allein in Uganda entstanden so Tausende Hektar Kiefernplantagen. Die pflanzte der norwegische Holzkonzern Green Resources schon vor zehn Jahren. Heute sind die meisten Kiefern große und kräftige CO2-Speicher. Dank des weltweiten Kohlenstoff-Marktes, auf dem Emissionsrechte gehandelt werden, bekommt der Konzern für seine Kiefern ohne weiteres Zutun bares Geld: Für jede Tonne CO2, die in den wachsenden Bäumen gespeichert wird, erhält das Unternehmen ein Emissionsrecht. Das kann es an andere Unternehmen oder sogar Staaten verkaufen, die ihre CO2-Bilanz damit aufbessern können. Green Resources nimmt so bis zu eine Million Dollar pro Geschäftsjahr zusätzlich ein. Sein größter Kunde ist die schwedische Energieagentur SEA.
Was passiert mit dem Kohlendioxid, wenn die Bäume gefällt werden?
Der Haken: Das gebundene CO2 ist nur temporär im Holz gespeichert. Denn das Kerngeschäft des Konzerns ist nicht Klimaschutz, sondern die Herstellung von Holzprodukten wie Balken oder Möbel. Die gepflanzten Kiefern werden deshalb spätestens nach 20 Jahren gefällt. Niemand prüft danach, was genau mit den Stämmen passiert und wie sie verarbeitet werden. Das ist jedoch nicht ganz unerheblich, denn sollte das Holz verwittern oder gar verbrannt werden, würde aus dem Klimaschutzprojekt ein Nullsummenspiel für den Planeten: Das über Jahre gebundene CO2 entweicht wieder in die Atmosphäre.
„CO2-Kolonialismus“, nennen das Kritiker. Während europäische Länder ihren fossilen Lebensstil einfach weiterführen, gleichen sie ihre schlechte CO2-Bilanz mit Klimaschutzprojekten im Süden aus. Zwar sind nicht alle Projekte ökologisch fragwürdig. Aber der sogenannte Kohlenstoffmarkt ist jung und anfällig für Greenwashing.
Auch unter dem Dach des Pariser Weltklimaabkommens, das ab 2020 in Kraft tritt, sollen zwischenstaatliche CO2-Kompensationen möglich sein. Darüber verhandeln die 197 Staaten derzeit in Madrid auf der 25. Uno-Klimakonferenz. Über die Regeln für den globalen Kohlenstoffmarkt gibt es allerdings handfesten Streit. Das Bundesumweltministerium spricht auf Anfrage von einer „schwierigen Verhandlungslage“, weil man um die bestmögliche Lösung in einem „technisch hochkomplexen Thema“ ringe.
85 Prozent aller Kompensationsprojekte könnten für das Klima nutzlos sein
Es müssen Regeln her, die garantieren, dass die Klimaschutzprojekte künftig ökologisch und sozial verträglich sind und auch wirklich CO2 einsparen. Gerade das sei der Knackpunkt der Verhandlungen, erklärt Lambert Schneider vom Öko-Institut, der bei der UN bisher solche Klimaschutzprojekte überwachte. „Ein wesentlicher Schwachpunkt ist die fragwürdige ‚Zusätzlichkeit‘ der Projekte“. Viele der technischen Nachrüstungen, das Aufforsten oder der Zubau von erneuerbaren Energien, die als Klimaschutzprojekt ausgewiesen werden, seien ohnehin in Planung gewesen – mit oder ohne CO2-Handel.
Sinnvoll sind diese CO2-Kompensationen aber nur, wenn der Windpark oder der gepflanzte Baum nicht ohnehin geplant waren und die Emissionen auch nachhaltig – also dauerhaft – der Atmosphäre entzogen werden. Einige Unternehmen hätten sich durch zweifelhafte Projekte eine zweite Einnahmequelle geschaffen – dem Planeten wurde so aber nicht geholfen, kritisiert Lambert Schneider.
Die Bilanz für den Klimaschutz ist dementsprechend mager: Das Öko-Institut errechnete, dass bei 85 Prozent der Projekte keine zusätzlichen Emissionen eingespart wurden. Viele Einsparungen seien sogar doppelt verrechnet und zu hoch eingeschätzt worden.
Weil die freiwilligen Klimaziele, die sich die 197 Staaten gegeben haben, nicht ausreichen, müssten die Länder in den kommenden Jahren ohnehin nachlegen. Dabei könnte der Zukauf von CO2-Rechten aus solchen Klimaschutzprojekten helfen. Neue Betrugsfälle müssten dann aber durch strenge Regeln verhindert werden, fordert das Bundesumweltministerium.
3,7 Milliarden Emissionsrechte dürften allein die Fluggesellschaften bis 2035 nachfragen
Das sehen nicht alle so. Gerade Entwicklungs- und Schwellenländer versprechen sich viel von dem Handel und versuchen, die Regeln zu verwässern. Beispiel Brasilien: Das Land besitzt den größten Regenwald der Welt – und damit viel Kapital, das es in die Waagschale des CO2-Handels werfen kann. Der Staat kann sich damit das Nicht-Abholzen genauso wie das Wiederaufforsten bezahlen lassen – mit CO2-Rechten, die es an Länder wie Deutschland verkauft.
Gleichzeitig will Brasilien sich aber die dadurch eingesparten Emissionen noch selbst anrechnen lassen können – damit würde der Klimanutzen doppelt gezählt. Für solche „Doppelzählungen“ dürfe es keinen Spielraum geben, heißt es aus dem deutschen Umweltministerium. Aufgabe der Verhandlungen in Madrid sei es, „diese Regulierungsfragen glaubwürdig zu lösen.“
Können sich die Staaten auf dem UN-Klimagipfel in Madrid jedoch nicht auf strenge Regeln und Kontrollen für den Kohlenstoffmarkt einigen, könnte der CO2-Handel zum größten Schlupfloch des Abkommens werden. Projekte wie die Kiefernplantagen in Uganda statt echter Waldprojekte könnten dann zur Regel werden.