Europaweite Klagen: Die neue Allzweckwaffe der Klimabewegung
(SPIEGEL 27/2/2020) In London stoppen Aktivisten mit einer Klage den Ausbau des Flughafens Heathrow und in den Niederlanden zwingt ein Urteil die Regierung in nur zehn Monaten ihr Klimaziel zu schaffen. Droht eine Klima-Klagewelle?
Britische Klimaschützer haben Grund zum feiern. Am Donnerstag gewannen Umweltgruppen eine Klage gegen den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Londoner Flughafen Heathrow. Sogar Londoner Lokalbehörden und ihr Bürgermeister Sadiq Khan hatten sich angeschlossen. Sie hatten ihre Klage mit den Zusagen der britischen Regierung im Rahmen des UN-Klimaabkommens begründet. Der weitere Ausbau des CO2-intensiven Flugverkehrs widerspreche den notwendigen Klimaschutzbemühungen, so die Gruppe. Mit dem Urteil des Berufungsgerichts könnte der Ausbau von Europas größtem Flughafen hinfällig sein. Der Flughafen will beim Obersten Gericht Berufung einlegen.
In der Urteilsbegründung gaben die Richter den Umweltschützern recht: Die Regierung habe bei der Empfehlung von 2018 für den Flughafenausbau das Pariser Abkommens nicht genug berücksichtigt. Die Regierung von Boris Johnson will nicht in Berufung gehen. Der konservative Premier ist selbst erklärter Gegner des Ausbaus: Er hatte sogar gedroht, sich selbst vor die Bulldozer zu legen, sollte die Bahn gebaut werden. Auch Klimaschützerin Greta Thunberg twitterte: „Stellen Sie sich vor, wir alle beginnen, das Pariser Abkommen zu berücksichtigen …“.
Nachdem Klageversuche in verschiedenen Ländern in den vergangenen Jahren scheiterten, gibt es nun mehrere Präzedenzfälle für gewonnene Klagen mit Verweis auf den Klimaschutz. Ungleich bedeutender als das Urteil in London ist die erfolgreiche Klimaklage der Nichtregierungsorganisation Urgenda gegen die niederländische Regierung, die im Dezember entschieden wurde.
Nach sechs Jahren hatten die Aktivisten in letzter Instanz des Obersten Gerichtes in Den Haag recht bekommen. Die Regierung darf ihre Klimaziele nicht verfehlen. Während die Aktivisten feierten, standen den Kabinettsmitgliedern der Schweiß auf der Stirn. Es begann ein Wettlauf gegen die Zeit: Noch nie musste eine Regierung in so kurzer Zeit – ihnen blieben nach der Urteilsverkündung nur knapp zwölf Monate für die Umsetzung – ihren CO2-Ausstoß so stark senken. Mit dem Urteil zwang das Gericht die Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte noch in diesem Jahr neun Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Der Grund: Jahrelang hatte sie das Klimaziel verschleppt. Eigentlich sollte der Treibhausgasausstoß bis Ende 2020 bei minus 25 Prozent gegenüber 1990 liegen. Beim Urteilsspruch im Dezember waren aber nur rund 15 Prozent erreicht.
„Die niederländische Regierung weiß seit fünf Jahren, was auf sie zukommt“, sagt die Anwältin Roda Verheyen, die in verschiedenen Ländern Klima-Klagen gegen Regierungen vertritt. „Im Jahr 2015 gewann die Klage der niederländischen NGO in der ersten Instanz und ab da gewannen sie immer wieder.“ Aber bis zuletzt habe die Regierung nicht geglaubt, dass die Klimaaktivisten wirklich damit durchkommen.
Zum Vergleich: Die Bundesregierung verfehlt ihr eigenes Klimaziel von minus 40 Prozent Emissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 um rund sieben Prozent – das sind etwa 85 Millionen Tonnen zu viel. In Deutschland wies ein Verwaltungsgericht eine ähnliche Klage von drei Familien im vergangenen Oktober jedoch ab.
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Drohen Bußgelder oder Gefängnis?
In den Niederlanden muss die Regierung nun jedoch schnell handeln. „Wir gehen davon aus, dass die Regierung sich an den gerichtlichen Beschluss hält“, sagt Dennis van Berkel von Urgenda dem SPIEGEL. Immerhin könne die Klima-Lücke problemlos mit dem Abschalten mehrerer Kohlekraftwerke geschlossen werden, argumentieren die Aktivisten. Eine solche Maßnahme würde jedoch einen Turbo-Kohleausstieg in kürzester Zeit bedeuten. Die betroffenen Kohlekonzerne wollen davon nichts wissen: „Es gibt unterschiedliche Forderungen und Erwartungen, die wir aber nicht im einzelnen kommentieren wollen“, erklärte ein Sprecher der deutschen Uniper die im Nachbarland mehrere Kohlekraftwerke betreiben gegenüber dem SPIEGEL. Man müsse sich an bestehende Gesetze halten. Diese sähen jedoch einen Ausstieg aus der Kohleverstromung erst bis 2029 vor.
Die Regierung steht jedoch unter erheblichem juristischem Zugzwang und die Abschaltung von Kohlekraft ist der schnellste Weg, CO2-Emissionen verlässlich zu senken. Andere Maßnahmen, wie die Dämmung von Gebäuden oder zum Energiesparen dauern länger und ihr tatsächlicher Einspareffekt lässt sich oft im Vorfeld nur unsicher berechnen. Die Regierung will Anfang März ihren Klima-Fahrplan für die nächsten Monate vorstellen.
Noch will Klimaaktivist van Berkel nicht daran denken, was passiert, wenn die Regierung es nicht schafft. Dafür gibt es ohnehin keinen Präzedenzfall. Es wäre das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass sich die Regierung gegen ein Urteil des Obersten Gerichtes in Den Haag stellt. Ins Gefängnis müssen die Regierungsmitglieder sehr wahrscheinlich nicht, wenn sie gegen das Urteil verstoßen, meint Anwältin Verheyen.
Dies ergab ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg vom November. Die Deutsche Umwelthilfe hatte Zwangshaft für bayerische Politiker gefordert, nachdem diese trotz illegaler Grenzwertüberschreitungen im Verkehr keine Fahrverbote verhängt hatten. Dieser Zwangshaft erteilte das Gericht aber eine Absage. Das sei laut Verheyen auch sehr wahrscheinlich auf nationaler Ebene so. Die Kläger, in diesem Fall Urgenda, könnten vor Gericht jedoch Bußgelder beantragen. „Das wäre der ganz normale Vorgang“, so Verheyen.
Heathrow-Urteil: Klimaklagen auf der Erfolgsspur
„Wenn man zu wenig oder keinen Klimaschutz betreibt, hat das mittlerweile rechtliche Konsequenzen“, sagt Verheyen. „Klimaschutz ist ein Menschenrecht und muss genauso verteidigt werden.“ Derzeit werde auch in Frankreich, Belgien und Italien gegen die Regierungen geklagt.
Auch in Deutschland ist schon wieder eine neue Klage gegen die Bundesregierung unterwegs: Klimaaktivisten und mehrere Umweltorganisationen wollen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Neuauflage des Klimaschutzgesetzes und seine angekündigten Maßnahmen bis 2030 klagen: Sie seien nicht ausreichend.