(Die Blätter für deutsche und interantionale Politik / Ausgabe 8/21) Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema – ich glaube auch sehr mit Greta verbunden – zu einem weltweiten Thema geworden.“ Diesen entlarvenden Satz sagte Armin Laschet im Frühjahr 2019 in der Talkshow „Anne Will“. Noch Monate später verteidigte der CDU-Kanzlerkandidat diesen ehrlichen, fast schon Freudschen Ausrutscher mit dem Hinweis, er habe selbst bereits in den 1990er Jahren Klimaschutzpolitik gemacht. Ihm sei es nur darum gegangen, dass das Thema mit Fridays for Future plötzlich „hochgekocht“ sei. (online komplett lesbar HIER)
So sehr Laschet auch versucht, sich aus der Affäre zu ziehen – seine Aussagen zeigen, wie die Union beim Klimaschutz tickt. Denn unweigerlich müssen sich Unionspolitiker nach 16 Jahren an der Regierung fragen lassen, warum so wenig passiert ist, wenn ihre Partei doch eigentlich immer schon grün gewesen sei.
Richtig ist, dass es in der CDU schon Ende der 1980er Jahre Klimaschutzinteressierte gab, beispielsweise fand die erste von zwei Enquete-Kommissionen des Bundestages zur Erderwärmung 1988 unter dem Co-Vorsitz von Bernd Schmidbauer (CDU) statt. Die Berichte dieser Kommissionen lesen sich heute wie Fridays-for-Future-Aufrufe, schon damals sprachen sie von der Dringlichkeit zu handeln. Auch in den 1990er Jahren gab es progressive CDUler wie den Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Oder die Umweltministerin und heutige Kanzlerin Angela Merkel: „Welchen Preis sind wir bereit, für unser Überleben zu zahlen? Dieser Diskussion dürfen gerade wir Umweltpolitiker nicht ausweichen“, schreibt Merkel in ihrem 1997 erschienenen Buch „Der Preis des Überlebens“.
Dass aber Armin Laschet sein „Engagement“ in den 1990er Jahren im Aachener Stadtrat, bei dem es um eine Verordnung zur Förderung erneuerbarer Energien gegangen sei, heute wieder auspackt, zeigt vor allem eines: seine Hilflosigkeit – und die seiner Partei.
Doch Laschet ist mit seinem Versuch, sich einen grünen Anstrich zu verpassen, nicht allein. Ein „Mea culpa“ von Unionspolitikern zum Thema Klimaschutz gab es in der laufenden Legislatur häufiger: So gestand Wirtschaftsminister Peter Altmaier ein, dass in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig passiert sei, Markus Söder ergrünt seit einigen Monaten und will endlich „entschlossener“ handeln, und mittlerweile gibt es mit der „Klimaunion“ sogar so etwas wie klimabewegte Abgeordnete in den eigenen Reihen.
Bei so viel Einsicht war die Erwartungshaltung in Sachen Wahlprogramm groß. Doch schon kurz nachdem das Papier, das Armin Laschet zum Kanzler machen soll, kursierte, brach ein Proteststurm los: „Stillstand“, „Weiter-so-Politik“, „Klimahölle“ waren noch einige der freundlicheren Bezeichnungen für das Mitte Juni vorgestellte Programm für „Stabilität und Erneuerung“.
Der Slogan deutet bereits an, wo das Problem liegt: Die Union will zwar Klimaschutz, aber bitte nicht zu viel davon. Besonders deutlich wird das an den neuralgischen Punkten der Klimawende: dem Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Ressourcen. Ohne einen massiven Zubau von Wind- und Solaranlagen kann Deutschland sein Klimaziel nicht erreichen – das war bereits vor der durch das Bundesverfassungsgericht erzwungenen Anhebung der CO2-Einsparung bis 2030 so.[1] Und gilt jetzt umso mehr.
Widersprüche und Leerstellen
Die Union drückt sich in diesem wichtigen Punkt darum, die Ausbauziele für die Erneuerbaren anzuheben und konkrete Zahlen in ihrem Wahlprogramm zu nennen. Dahinter steckt Kalkül: Alles, was die Union in den vergangenen Monaten nicht benannt oder gemacht hat, verschreckt zum einen keine Wählerinnen und Wähler der „Mitte“ und wird zum anderen zur Verhandlungsmasse in möglichen Koalitionsverhandlungen mit den Grünen.
Dabei braucht Deutschland große Mengen grünen Stroms – es geht um nichts Geringeres als die Elektrifizierung aller Lebensbereiche: Dazu gehören E-Autos und -Busse, die Herstellung von grünem Wasserstoff für die Industrie, die Herstellung synthetischer Kraftstoffe oder das klimaschonende Beheizen von Gebäuden. Diese „Zukunftstechnologien“ und innovativen Lösungen feiert die Union in ihrem Wahlprogramm, doch benennt sie die Grundlage für diese Technologiewende nicht: Da Wind- und Solarenergie derzeit die einzigen, im großen Maßstab verfügbaren klimafreundlichen Energiequellen sind, müsste die Union ihnen eigentlich den roten Teppich ausrollen. Denn ohne grünen Strom ist die schöne neue Welt des Wasserstoffs oder der synthetischen Kraftstoffe nur eine Scheinwelt.
Ein Zahlenbeispiel: Damit die Klimaziele für 2030 noch erreicht werden können, müsste allein die Windkraft an Land um rund acht Gigawatt pro Jahr zulegen, rechnet das Fraunhofer-Institut vor. Im vergangenen Jahr lag der Zuwachs nur bei 1,4 Gigawatt – Deutschland müsste also ab sofort jährlich knapp sechsmal so viele Windräder bauen als bisher.
Angesichts dieser Schieflage klingt es fast euphemistisch, wenn die Union einen „schnelleren Ausbau“ fordert, ohne auch nur eine Zielmarke zu nennen, während die Grünen in ihrem Wahlprogramm in Übereinstimmung mit der Wissenschaft von einem Zubau in Höhe von acht Gigawatt pro Jahr ab Mitte der 20er Jahre sprechen. Getoppt wird die Phrase vom „schnelleren Ausbau“ nur noch durch den Zusatz, dass mehr „Akzeptanz in der Bevölkerung“, „Planungssicherheit“ sowie „weniger Bürokratie“ nötig seien. Drei gute Vorsätze, die die Regierung in den vergangenen Jahren selbst konterkariert hat.
Denn die Union schuf mit dem Klimaschutzpaket 2019 höhere Hürden für den Ausbau, indem sie eine Abstandsregelung von 1000 Metern zwischen Windanlagen und Siedlungen ins Spiel brachte. Laschets Bundesland Nordrhein-Westfalen setzt diese Idee gerade fleißig um und bremst damit den Zubau von Windanlagen massiv aus. Auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung tat die Union bisher wenig – einzig eine Beteiligung der Kommunen an den Gewinnen von Windparks gibt es mittlerweile, allerdings ist diese freiwillig.
Ähnlich widersprüchlich geht es beim Ausstieg aus den fossilen Energien zu: Die Union steht weiter zu einem späten Ende der Kohle – das letzte Kraftwerk soll erst 2038, also sieben Jahre vor Erreichen der Klimaneutralität 2045 abgeschaltet werden. Daneben bekennt sich die Union zum Ausbau von Gasleitungen und dem umstrittenen Import von Flüssiggas.
Schwer tun sich CDU und CSU schließlich auch beim Abschied vom Verbrennungsmotor: Wieder nennt die Union keine konkreten Termine, wann der Verkauf neuer Diesel- und Benzinmotoren auslaufen soll – obwohl das Länder wie Frankreich, US-Bundesstaaten und sogar einzelne Automarken wie Audi längst getan haben. Gleichzeitig wird die Verantwortung an die EU abgeschoben: Man wolle den Emissionshandel in Europa auf den Verkehrssektor ausweiten, heißt es beiläufig im Wahlprogramm.
Doch genau davor warnen Experten: Wenn der Verkehr keine nationale Klimaschutzaufgabe ist, wird alles über den europäischen CO2-Preis geregelt. Der aber dürfte viel zu niedrig sein, um eine Lenkungswirkung zu entfalten. Stattdessen sollen laut Union die wirksamen CO2-Flottenwerte, die derzeit EU-weit angewendet werden, wegfallen. Weil deutsche Autobauer diese kaum einhalten können, drohen ihnen regelmäßig Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Für die Autolobby wäre das ein echtes Geschenk: Ein unwirksamer CO2-Preis, wegfallende Grenzwerte – und obendrein sollen E-Autos mit Milliarden gefördert werden. Die Union macht ihrem Ruf als Autopartei weiterhin alle Ehre.
Das Konservieren der fossilen Welt
Für ein Konservieren der alten, fossilen Welt spricht auch die klare Ablehnung von Dieselfahrverboten und einem „generellen Tempolimit auf Autobahnen“. Auch hier ist Kanzlerkandidat Laschet wissenschaftlich nicht up to date: In mehreren Interviews erklärte er in den vergangenen Wochen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung den Klimawandel nicht ausbremsen würde. Prompt widersprachen ihm zahlreiche Wissenschaftler und verwiesen auf eine Analyse des Umweltbundesamtes: Ein Tempolimit könnte in Deutschlands fast zwei Mio. Tonnen CO2 im Jahr einsparen – das ist ungefähr so viel wie der innerdeutsche Flugverkehr emittiert.
Auch beim nationalen CO2-Preis bleibt alles nebulös: Man wolle den „Aufwuchspfad straffen“ – was auch immer damit gemeint ist. Doch wichtiger noch als das, was im Programm steht, ist vielleicht das, was nicht drinsteht: die Beendigung des fossilen Zeitalters. Dazu wäre ein schneller Kohleausstieg, ein Gas-Exit und die Sanktionierung von fossilen Kraftstoffen notwendig. Genau das aber sieht das Wahlprogramm der Union nicht vor. Es suggeriert vielmehr, die schöne neue Klimaschutzwelt könne parallel zur weiteren Förderung fossiler Energien und Infrastruktur bestehen. Das ist so, als würde man eine Diät machen und gleichzeitig weiter fettige Burger essen.
Es bleibt das schale Gefühl, dass die Union sich nicht festlegen will, Verantwortung lieber auf die EU abschiebt und unausgereiften Technologien vertraut, anstatt die Energiewende beherzt anzupacken. Die Union wirkt mittlerweile wie ein Altherrenclub: Die Realität überholt die eigenen, nicht mehr zeitgemäßen Überzeugungen. Und die Angst vor struktureller Veränderung wird mit einer regelrechten Technologieeuphorie überspielt.
Bestes Beispiel dafür ist ein unscheinbarer Absatz zur CCS-Technologie im Wahlprogramm – der unterirdischen Speicherung von CO2.[2] Diese wurde in Deutschland bereits vor Jahren auf Druck aus der Bevölkerung verboten. Nun kramen die Unionsparteien die Idee wieder hervor – ohne irgendeinen Hinweis darauf, wo und wie jemals in Deutschland überschüssiges CO2 gelagert werden könnte.
Laschets Satz, „‚Geht nicht‘ gibt‘s bei uns nicht mehr!“, gilt wohl insbesondere für schlaue Ausweichmanöver von ehrgeiziger Klimapolitik. Das gesamte Klimaschutzprogramm wirkt wie eine Sammlung von Anreizpolitik, technologischen Scheinlösungen und Förderprogrammen, mit denen die Union ordnungspolitische Maßnahmen um jeden Preis verhindern will.
Tatsächlich entlarvt es die Haltung einer Partei, die – ganz in Laschets „Plötzlich-war-das-Klimthema-da-Manier“ – im Denken des 20. Jahrhunderts feststeckt und weiterhin der Idee anhängt, dass „Klima“ ein Thema ist, das man irgendwie auch mitdenken muss. Was konsequenter Klimaschutz wirklich bedeutet und dass die Klimaneutralität sich nicht durch ein paar Supererfindungen und Anreizprogramme erreichen lässt, haben die meisten Unionspolitiker noch nicht verstanden, das zeigen das Wahlprogramm und die klimapolitische Geisterfahrt ihres Kanzlerkandidaten nur allzu deutlich.
Kuhhandel um den Klimaschutz
Kurz: Es fällt den Konservativen schwer, einen Wandel zu denken, weil sich Althergebrachtes doch angeblich bewährt hat. Mit allen Mitteln halten sie an einem Lebensstil und einer Gesellschaftsorganisation fest, die sich zwangsläufig überholt haben. Klimaschutz bleibt für sie weiterhin etwas „Grünes“ und damit Artfremdes. Stattdessen versucht die Union, das Klimathema zu kapern, ohne es inhaltlich konsequent zu Ende zu denken – auch, weil es ihren eigenen Überzeugungen und Interessen fernliegt.
Wäre das „Klimathema“ 2018 nicht „hochgekocht“, würde die Union diese Parallelwelt aus fossiler Energieerzeugung und Erneuerbaren noch jahrzehntelang aufrechterhalten. Am liebsten wäre es den meisten Konservativen, wenn die alte Welt durch technische Innovationen einfach so bleiben könnte, wie sie ist – mit Autobahnen ohne Tempolimit für die Diesel-SUVs, Betonwüsten in Innenstädten und Billigfleischfabriken – und wenn man sich mit einigen grünen Klimalösungen „on top“ als modernes Land ausgeben könnte.
Doch die Union wird nicht allein regieren – das zumindest ist sicher. Und wahrscheinlich werden Laschet und Annalena Baerbock die Koalitionsverhandlungen im Oktober führen. Die Union weiß das – und bereitet sich seit Monaten auf dieses Szenario vor. Mit dem Verzögern entscheidender Gesetze und Verordnungen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu den deutschen Klimazielen ist das noch einmal sehr deutlich geworden. Eilig wurden die Klimaziele nachgebessert (und das gleich als Werbung für die Regierung verkauft, obwohl das Gericht diese Entscheidung erzwang), doch die Sofortmaßnahmen lassen auf sich warten. Zwar verabschiedete die Koalition kurz vor der Sommerpause des Parlaments noch ein paar Novellen im Energierecht, die großen Fragen blieben aber außen vor – beispielsweise die gerechte Kostenverteilung von Gebäudesanierungen zwischen Mieterinnen und Vermietern, der so grundlegende Ausbau der erneuerbaren Energien oder der Abbau umweltschädlicher Subventionen.
Die Forderungen der Grünen sind in diesen Fragen eindeutig. Deshalb kann man sich bereits heute ausmalen, wie die Verhandlungen ablaufen könnten: „Wenn ihr eure acht Gigawatt wollt, dann wollen wir blauen Wasserstoff und CO2-Untergrundspeicherung. Und wenn ihr das Verbrenner-Aus wollt, dann wollen wir nichts mehr vom Tempolimit hören.“
So oder so ähnlich könnte der Kuhhandel um den Klimaschutz im Herbst aussehen. Dann wird es darauf ankommen, wie hart die Grünen verhandeln und wie sehr progressive Teile der Union in CDU und CSU sich durchsetzen. Auch wenn die Grünen derzeit nicht immer alles richtig machen,[3] im Vergleich zur Union sind sie eindeutig die Realos, die im Zeitalter der Klimakrise angekommen sind – während die Union ihren naiven Traum vom Erhalt der fossilen Welt weiterlebt.