(SPIEGEL 18/2/2020) Beim Protest gegen die Tesla-Fabrik in Grünheide verschwimmen die Grenzen zwischen berechtigten Sorgen um den Umweltschutz und Populismus. Die Klagewut mancher Aktivisten entfacht Konflikte in der Ökoszene.
Windräder, Solarparks, Elektroautos sind die technischen Antworten auf die Klimakrise. Die deutschen Umweltverbände kämpfen seit Jahren dafür, dass Strom und Autofahren klimafreundlicher werden. Doch ein radikaler Teil der Naturschützer protestiert mittlerweile nicht nur gegen Kohleverbrennung, sondern auch gegen Energiewendeprojekte wie Windkraftanlagen und E-Autos. So halten gerade drei Umweltgruppen die geplante Elektroautofabrik in Brandenburg auf: Am Montag besetzten Klimaaktivisten von „Hambi bleibt“ – einer Anti-Kohle-Organisation aus Nordrhein Westfalen – den Industrieforst in Grünheide, auf dem das Tesla-Werk entstehen soll. Die Klimaaktivisten hatten bis vor Kurzem noch in einem Waldstück im Rheinischen Braunkohlerevier gegen die Ausweitung eines Tagebaues durch den Kohlekonzern RWE protestiert.
Zudem haben die Grüne Liga Brandenburg und der Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern (VLAB) gegen die Baumfällarbeiten auf dem Tesla-Gelände Beschwerde eingelegt. Die Arbeiten wurden daraufhin gestoppt. Dabei sind sich die Naturschutzgruppen untereinander nicht grün: Während die Baumbesetzer „nicht noch mehr Autos“ wollen und für einen radikaleren Klimaschutz eintreten, will die Grüne Liga nach eigenen Angaben nur geltendes Recht durchsetzen. Der Verein für Landschaftspflege & Artenschutz (VLAB) ist aus Prinzip gegen Tesla: Der Verband lehnt auch die Energiewende vehement ab, klagt gegen Windanlagen und protestiert gegen den Bau von Stromtrassen.
„Die Energiewende ist für den Klimaschutz nicht geeignet“
VLAB wurde 2015 von Energiewendegegnern gegründet, die zuvor im mitgliederstärksten deutschen Umweltverband, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), aktiv waren. Mit von der Partie waren auch Promis wie Enoch von Guttenberg, BUND-Mitbegründer, bayerischer Waldbesitzer und Vater des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Mittlerweile ist auch der Ex-Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Hubert Weinzierl, im VLAB aktiv. Der Verein glaubt, dass „die deutsche Energiewende zur Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstoßes nicht geeignet ist“. VLAB arbeitet auch mit Vernunftkraft zusammen, der bundesweiten Dachorganisation der Windkraftgegner. Dieser Organisation wird häufig eine Nähe zur AfD unterstellt, weil sie wie die Partei die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes fordert. Die AfD gilt zudem als einzige Partei, die den menschengemachten Klimawandel leugnet. Der Vorsitzende von Vernunftkraft, Nikolai Ziegler – ebenfalls Mitglied beim bayerischen VLAB – bezweifelt ebenfalls, dass es einen wissenschaftlichen Klimakonsens gibt, wie er im August 2019 in einem Interview mit Monitor erklärte.
Zugleich arbeitet Ziegler auch für das Bundeswirtschaftsministerium und vertrat laut Medienberichten sogar Energie-Staatssekretär Thomas Bareiß. Beides wollte das Ministerium gegenüber dem SPIEGEL nicht kommentieren.
Wie tief die Gräben zwischen AfD-nahen Windkraftgegnern, VLAB und der alten Umweltszene gehen, zeigt auch ein offener Brief von VLAB zur Verabschiedung des ehemaligen BUND-Chefs Hubert Weiger: Der BUND sei zu einer „Lobbyorganisation für die milliardenschwere Branche der Erneuerbare-Energie-Industrie“geworden, heißt es da.
Vom Umweltschützer zum AfD-Anhänger
Die Grüne Liga Brandburg, die ebenfalls gegen Tesla Beschwerde eingereicht hat, distanziert sich von Vernunftkraft und VLAB. „Verbände, die den menschengemachten Klimawandel leugnen oder sich für Kohle- oder Atomstrom aussprechen, haben keine Gemeinsamkeiten mit der Grünen Liga“, erklärte René Schuster vom Bundesvorstand des Naturschutzvereins. Dem klagenden Verband gehe es darum, dass große Investoren nicht bevorteilt würden – auch wenn sie Elektroautos bauen würden. Allerdings hatte auch die Grüne Liga bereits Konflikte mit Energiewendegegnern und Klimaleugnern: Der heutige AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban war langjähriger Geschäftsführer der Grünen Liga Sachsen. Bis heute diskutieren die Mitglieder, ob die sächsische Grüne Liga aufgrund ihrer rechten Verstrickungen aus dem Bundesverband ausgeschlossen werden soll.
Im Dachverband der deutschen Umweltverbände, dem Deutschen Naturschutzring (DNR), ist man ebenfalls besorgt: „Grünheide ist das falsche Schlachtfeld. Einige Verbände sind offenbar bereit, Seite an Seite mit identitären Klimaleugnern (VLAB) gegen jede Form der Industrieansiedlung zu kämpfen. Dabei kann Tesla ein Zugpferd einer CO2-armen Industrie werden“, erklärt Kai Niebert, Präsident des DNR. „Wir Umweltverbände müssen hier aufpassen, nicht in der falschen Ecke zu stehen.“
Man brauche keine Minimalkompromisse, sondern einen fairen Interessenausgleich. „Die Naturschützer haben ein Interesse an intakter Natur, nicht an Industrieforsten – Tesla und das Land am schnellen Bau. Mit ein bisschen Kreativität könnten wir eine Win-win Situation produzieren“, so Niebert.
Auch Bundespolitiker wie Wirtschaftsminister Peter Altmaier oder FDP-Chef Christian Lindner kritisieren die Verhinderungswut der Umweltschützer. Lindner erklärte, dass man bei Großprojekten in Deutschland zu oft auf die Bremse trete. Stattdessen sei eine „echte Planungsbeschleunigung“ nötig, sagte er der Funke-Mediengruppe.
Artenschutz ist häufigster Verhinderungsgrund
Tatsächlich nehmen die Verbandsklagen gegen Bauvorhaben aus Naturschutzgründen zu: Waren es 2007 noch 40 bis 50 Verfahren pro Jahr, seien es 2016 schon über 60 gewesen. Grund ist laut einer Studie des Umweltrates der Bundesregierung, dass Umweltverbände seit einer Rechtsreform mehr Möglichkeiten zum Klagen haben und andererseits mehr Umweltinitiativen als klageberechtigte Verbände anerkannt wurden. Vor allem die Klagen gegen Windenergie und Tierhaltungsanlagen hätten seit 2013 zugenommen.
Die Fachagentur für Windenergie an Land errechnete, dass deutschlandweit 325 Windturbinen „beklagt“ seien. Der häufigste Klagegrund sei der Artenschutz. In der Mehrheit der Fälle klagten Umwelt- oder Naturschutzverbände, darunter jedoch nur ein bundesweit tätiger Verband.
Auch der VLAB ist seit Januar 2019 vom Umweltbundesamt (UBA) offiziell als Umweltverband anerkannt worden – zum Ärger von etablierten Umweltverbänden wie dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) oder Greenpeace.
Original auf: SPIEGEL