(Der SPIEGEL 4.3. 2020) Zum ersten Mal in der Geschichte legt Europa ein gemeinsames Klimagesetz vor – die Union will demnach ab 2050 klimaneutral sein. Doch Experten warnen vor Rechentricks.

Der Bundesverband Erneuerbare Energien beispielsweise befürchtet, dass die Unternehmen dadurch weniger in Wind- und Solarenergie oder in klimafreundliche Modernisierungen investieren könnten. Kritiker glauben auch, die Unternehmen oder Staaten würden sich lieber von ihrer Verantwortung „freikaufen“. Das funktioniert, indem sie sich ihre Ziele mit günstigeren Klimaschutzprojekten in anderen europäischen Ländern aufbessern. Unklar ist noch, ob nicht auch Projekte aus Entwicklungsländern zählen. Derzeit ist das nicht vorgesehen. Das könnte aber noch „hineinverhandelt“ werden, vermuten Experten.
„Die Klimaneutralität öffnet die Büchse der Pandora für das Abschieben der Verantwortung für Emissionsminderungen“, glaubt auch Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Solch ein Gesetz brauche genaue Regeln. „Es muss genau festgeschrieben sein, wie viel der Gesamtemissionen real eingespart und wie viel über andere Methoden erbracht werden können“, meint der Klimaexperte.
„Wir sind erst am Anfang von handfesten Konflikten zwischen den Staaten aber auch innerhalb von Gesellschaften“, glaubt Nachhaltigkeitsforscher Ortwin Renn. „Die ersten 30 Prozent des Wandels gehen noch relativ problemlos, doch spätestens dann kommt es zur Zerreißprobe zwischen progressiven und reaktionären Kräften“, prophezeit Renn. Auch in Deutschland könne man das schon beobachten. „Unsere Gesellschaft polarisiert sich und in Bereichen wie dem Stromsektor, wo wir schon über 30 Prozent erneuerbare Energien haben, sind die Konflikte am härtesten.“